Prof. Klaus Josef Lutz hat seit Juli 2008 den Posten des Vorstandsvorsitzenden bei der BayWa AG, München, inne. Nach seiner Zulassung zum Rechtsanwalt arbeitete K. J. Lutz in verschiedenen Unternehmen in der Funktion des Geschäftsführers und Vorstandsvorsitzenden. Zum 31. März 2023 wird er die operative Führung bei der BayWa aufgeben und in den Aufsichtsrat wechseln.
Im Interview mit dem eot spricht der BayWa-Chef über das Potenzial von doppelter Landnutzung, weshalb das „Osterpaket“ der Bundesregierung den Ausbau schwimmender Solaranlagen massiv verhindert und wie es zu seiner Entscheidung kam, ab dem nächsten Jahr den Vorsitz im Aufsichtsrat der BayWa zu übernehmen.
Die Ukraine gilt mit Russland zusammen als Kornkammer Europas, doch der Ackerbau ist dort aktuell extrem vom Krieg beeinträchtigt. Jetzt mehren sich besorgte Stimmen, die zum einen vor horrenden Preissteigerungen beim Weizen und zum anderen vor einer dramatischen Ernährungslage in der Welt warnen. Inwieweit hat der Krieg in der Ukraine Einfluss auf den deutschen Agrarsektor?
K. J. Lutz: Der Krieg in der Ukraine hat die Entwicklungen, die wir schon in der zweiten Jahreshälfte 2021 gesehen haben, verstärkt. Die Preise für Agrarrohstoffe haben sich massiv weiter erhöht, der erneute Anstieg der Energiekosten führte zu Lieferengpässen bei Düngemitteln, für deren Produktion viel Energie, vor allem Erdgas, notwendig ist. Für die gesamte Wertschöpfungskette im Agrarsektor bedeutete dies erhebliche Kostensteigerungen – beginnend beim Landwirt und seinen Kosten für Betriebsmittel, Futtermittel, Diesel bis zur Verarbeitung, Logistik und dem Lebensmitteleinzelhandel. Verbraucher hier in Deutschland spüren diese Entwicklung, die, wie gesagt, schon 2021 ihren Anfang nahm, in höheren Lebensmittelpreisen. Menschen in Schwellen- und Entwicklungsländern hingegen, die 60, 70 oder mehr Prozent ihres Einkommens für Essen und Trinken ausgeben, sind jetzt von Mangelernährung oder gar Hunger bedroht, weil die Ukraine, von der sie den Weizen bisher bezogen haben, nun als Getreidelieferant weitgehend wegfällt. Das muss in Deutschland niemand befürchten. Bei Weizen sind wir Deutschen Selbstversorger und exportieren sogar. Das zeigt gleichzeitig, dass wir einen Anteil an der Versorgungssicherheit der Welt haben und damit auch eine globale Verantwortung.
Erwarten Sie in der Folge Auswirkungen auf die Bioenergie? Und wenn ja, wie könnte diesen begegnet werden?
K. J. Lutz: Zumindest hat die Diskussion „Teller oder Tank“ in Deutschland Fahrt aufgenommen: In den Medien konnte man kürzlich nachlesen, dass das Bundesumweltministerium an einem Ausstiegsplan arbeitet. Demnach soll die Obergrenze für Biokraftstoffe aus Nahrungs- und Futtermittelpflanzen schon im kommenden Jahr von derzeit 4,4 auf 2,5 Prozent sinken – und ab 2030 ganz auf null. Der Fokus soll dann stärker auf Alternativen wie ohnehin anfallenden Reststoffen liegen. Parallel muss man auch davon ausgehen, dass bis dahin der Verkehr stärker elektrisiert oder auf Wasserstoff umgestellt sein wird als heute.
Auf jeden Fall zeigt auch dieses Beispiel einmal mehr, in welchen Dilemmata und Zielkonflikten wir stecken, wenn es um die Sicherung der Nahrungsmittelversorgung, des Klimaschutzes und der Biodiversität geht. Begründet wird die beabsichtigte Absenkung der Obergrenze für Biokraftstoffe mit den hohen Preissteigerungen für Grundnahrungsmittel infolge des Ukraine-Krieges und drohenden Hungersnöten. 1,1 Millionen Hektar, die bisher für Biokraftstoffe genutzt wurden, sollen so rein rechnerisch ab 2023 für die Nahrungsmittelproduktion frei werden. Das wird aber zu Lasten der Klimaziele im Verkehrssektor gehen – und, daran denkt fast keiner – auch zu Lasten der Produkte, die bei der Produktion von Biokraftstoffen aus Nahrungs- und Futtermittelpflanzen wiederum für den Lebensmittelbereich entstehen. Diese müssten dann wieder importiert werden.
Als wir vor ein paar Wochen über die Nutzung ökologischer Brachflächen für den Getreideanbau diskutiert haben, hat sich Deutschland als einziges EU-Land gegen die vollständige Umsetzung des Vorschlags der EU-Kommission entschieden. Die Begründung damals: Man dürfe das eine, die Bekämpfung des Hungers, nicht gegen das andere, die Biodiversität, ausspielen.
Die BayWa r.e. setzt mittlerweile auch auf Floating-PV-Anlagen. Was ist der Vorteil gegenüber herkömmlichen Photovoltaik-Anlagen und gibt es auch Nachteile?
K. J. Lutz: 2018 hat die BayWa r.e. AG ihre erste Floating-PV-Anlage auf das Wasser gebracht, also schon vor vier Jahren. Mittlerweile haben wir 13 schwimmende Solarparks mit insgesamt 200 Megawatt Peak Gesamtleistung errichtet, darunter vor wenigen Wochen die derzeit größte Floating-PV-Anlage in Deutschland für die Quarzwerke GmbH in Haltern am See. Innovative Solaranwendungen wie Floating-PV leisten einen wichtigen Beitrag zur Energiewende und nehmen der Debatte über die Landnutzung den Wind aus den Segeln, indem künstliche Gewässer wie Stauseen doppelt genutzt werden oder ungenutzte Wasserflächen wie stillgelegte Braunkohle- und Sandgruben einen neuen Nutzen erhalten. Floating-PV-Projekte in den Niederlanden haben außerdem gezeigt, dass der Stromertrag aufgrund des Wasserkühlungseffekts um 2 bis 3 Prozent höher sein kann als bei einer Freiflächenanlage. Leider verhindert das „Osterpaket“ der Bundesregierung massiv den Ausbau schwimmender Solaranlagen. Die Auflagen im aktuellen Kabinettsentwurf sind so definiert, dass kaum mehr eine Floating-PV-Anlage in Deutschland wirtschaftlich darstellbar wäre. Das – konservativ gerechnete – Potenzial würde von derzeit 20 Gigawatt auf gerade mal ein Gigawatt Leistung sinken. Oder in Wasserflächen ausgedrückt: Von 460 geeigneten blieben nur 22 übrig.
Außerdem treibt die BayWa r.e. die doppelte Landnutzung voran. Solarmodule erzeugen erneuerbare Energie und schützen als „Überdachung“ zugleich landwirtschaftlich genutzte Flächen vor extremen Wettereinflüssen. Wie wird diese Idee in Europa angenommen? Gibt es Unterschiede zwischen Deutschland und anderen europäischen Ländern?
K. J. Lutz: Der weltweite Ausbau der Agri-Photovoltaik hat sich in den vergangenen Jahren sehr dynamisch entwickelt. Die installierte Leistung beträgt mittlerweile 2,9 Gigawatt, wobei China hier führend ist. Von der Anzahl der Agri-PV-Anlagen her ist Japan mit mehr als 3.000 Anlagen Spitzenreiter. Hier in Europa stechen vor allem die Niederlande hervor: Dort hat die BayWa r.e. in 2020 und 2021 sechs Agri-PV-Anlagen im Obstbau errichtet. Obstbau und Agri-PV ergänzen sich sehr gut, da es ohne Schutz vor Extrem-Wetterereignissen wie Sturm, Hagel oder intensiver Sonneneinstrahlung schon heute aufgrund des Klimawandels eigentlich kaum mehr geht. Solarpanels über der Anbaufläche erfüllen diese Schutzfunktion. Damit erhöhen Landwirte nicht nur die Klimaresilienz ihrer Kulturen und sichern so den Ertrag ab, sie „ernten“ gleichzeitig grünen Strom vom Acker. Deutschland hinkte hier lange Zeit hinter anderen Ländern her, hat in den letzten zwei Jahren aber nachgebessert. Auch wenn wir noch am Anfang stehen – es geht voran. 2021 zum Beispiel haben wir gemeinsam mit dem Fraunhofer-Institut und weiteren Forschungspartnern auf einem Bio-Hof in Rheinland-Pfalz die erste Agri-PV-Forschungsanlage für Äpfel und Spalierobst errichtet.
Sie haben kürzlich Ihren neuen Nachhaltigkeitsbericht vorgestellt. Darin wurde u.a. noch einmal das Ziel bekräftigt, dass bis 2030 konzernweit die Klimaneutralität erreicht werden soll. Aber auch „Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter“ machen einen eigenen Punkt bei Ihrer Nachhaltigkeitsstrategie aus. Was bedeutet das?
K. J. Lutz: Nachhaltigkeit ist einer der Pfeiler der BayWa-Strategie. Wir haben uns zum Beispiel zum Ziel gesetzt, zukünftig mindestens die Hälfte unseres EBIT mit grünen Geschäftstätigkeiten zu erzielen. Wirksam wird Nachhaltigkeit aber nur, wenn sie die soziale und ökonomische Komponente gleichberechtigt neben der ökologischen berücksichtigt. Oder anders ausgedrückt: Was nicht sozial ist, also zum Beispiel Arbeitsplätze kostet, ist auch nicht nachhaltig. In unserem Nachhaltigkeitsbericht definieren wir Jahr für Jahr unsere Ziele und dokumentieren sehr transparent, wie weit wir im Berichtszeitraum gekommen sind. Im Kapitel „Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter“ kann man beispielsweise mehr darüber erfahren, wie wir Vielfalt und Gleichberechtigung im Unternehmen fördern oder was wir im Bereich Ausbildung und Weiterbildung unternehmen, um Fachkräfte zu gewinnen, zu halten und auf ihrem weiteren Karriereweg zu unterstützen.
Seit Anfang dieses Jahres übernimmt die BMS BayWa Mobility Solutions GmbH die Vermarktung von THG-Quoten privater E-Fahrzeug-Halter über ihre Plattform www.baywa-mobility.de/services/thg-quote. Wie weit sind die Pläne, die Vermarktung auch auf gewerbliche Kunden auszuweiten?
K. J. Lutz: Das ist richtig, die BMS hat Anfang dieses Jahres mit der Vermarktung der THG-Quote für Privatkunden begonnen. Mittlerweile ist dieses Angebot auch auf Betreiber gewerblicher Flotten ausgeweitet.
Zum 31. März 2023 werden Sie nach 15 Jahren die operative Führung der BayWa abgeben. Sie sollen dann neuer Aufsichtsratschef werden. Was hat Sie zu diesem Schritt bewogen?
K. J. Lutz: Die Initiative ging vom Aufsichtsratschef der Bayerischen Raiffeisen-Beteiligungs-AG aus, die einer unserer Hauptaktionäre ist. Der Aufsichtsrat der BayWa hat sich diesem Vorschlag angeschlossen. Ich habe keine Sekunde gezögert, mich für diese neue Aufgabe zur Verfügung zu stellen. Die BayWa mit all ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern liegt mir sehr am Herzen – gemeinsam haben wir in all den Jahren viel erreicht. Daran wollen wir in den kommenden Jahren anknüpfen und bis 2025 ein EBIT von 400 bis 450 Millionen Euro erzielen. Um dieses Ziel zu erreichen, werden die erneuerbaren Energien eine signifikante Rolle spielen.