Anfang dieses Jahres wurde bekannt gegeben, dass aus der Implico Group, die bereits seit rund 40 Jahren unter dem Produktnamen OpenTAS individuelle Lösungen für die Digitalisierung von Geschäftsprozessen in der Lieferkette von Energieträgern anbietet, die OpenTAS Group ausgegründet wurde. Erst im September 2022 hatte Rolf Adam die Geschäftsführung der global aktiven Implico übernommen, mit dem Ziel die Internationalisierung und Digitalisierung von Logistikprozessen über den Energiesektor hinaus im Rahmen von SAP Industry Solutions und Terminal Management Solutions weiter voranzutreiben.
Mit dem Einstieg von Harald Wentsch im Februar 2023 wurden die relevanten Grundlagen für die Realisierung mit einem starken Fokus auf die Automatisierung von Geschäftsprozessen gelegt. Ein erster wichtiger Schritt war die ganzheitliche Digitalisierung der Prozesse. Mitte 2023 wurde ein komplettes Rebranding der Marke und der Positionierung des Unternehmens als Pionier bei digitalen Lösungen für die Energie- und Rohstoff-Lieferkette durchgeführt. In der Folge baute das Unternehmen sein Produkt-Portfolio zu Softwarelösungen und Dienstleistungen in den Bereichen Terminal Management, Secondary Distribution und Fuels Retailing mit Erweiterungen und Services gezielt aus. Ein wichtiger Baustein in der Weiterentwicklung des Unternehmens war der Umzug in neu konzipierte Arbeitswelten mit dem Ziel eine neue „World of Work“ zu schaffen.
Warum sich die Implico in zwei wirtschaftlich eigenständige Unternehmen aufgeteilt hat, und daraus die OpenTAS Group entstanden ist, beantwortet Geschäftsführer Harald Wentsch im Interview mit Chefredakteur Daniel Grübner.
Herr Wentsch, seit Anfang 2023 beschäftigen Sie sich mit Terminalmanagement. Zunächst als COO der Implico, jetzt als CEO der OpenTAS Group. Wodurch zeichnet sich Ihrer Meinung nach der Markt des Terminalmanagements aus? Wo sehen Sie die Herausforderungen?
H. Wentsch: Wir befinden uns einerseits in einem Markt von effizient abgestimmten globalen Lieferketten, der auf der anderen Seite lokal und regional unterschiedliche Bedürfnisse bei der Logistik zum Endverbraucher und eine zunehmende Produktvielfalt aufweist. Das führt zwangsläufig zu einer Transformation, vorausgesetzt die Tanklager übernehmen als Distributor auch weiter eine entscheidende Komponente bei der Sicherstellung der Versorgungssicherheit.
Als einer der führenden Anbieter von digitalen Supply-Chain-Lösungen für Tankläger in der Energie- und Chemieindustrie, sind wir gefordert diese Entwicklungen frühzeitig zu antizipieren und unsere Kunden mit unseren Lösungen und Dienstleistungen in die Lage zu versetzen, die Veränderungen ihres Geschäftsmodells schnell und effizient umsetzen zu können. Die Liste der Herausforderungen, die die Betreiber von Tanklägern und Terminals dabei zu bewältigen haben, ist lang. Sie reicht von sich ständig ändernden regulatorischen Rahmenbedingungen über Branchenkonsolidierung, einer stetig zunehmenden Vielfalt an Produkten, einer dadurch schwankenden Nachfrage und Verbrauch sowie einem immer noch unklaren Zielbild der künftigen Energieträger. Darüber hinaus beobachten wir in vielen Betrieben einen Generationswechsel in der Belegschaft, sowie eine hohe Kadenz bei der technischen Entwicklung, da viele Unternehmen veraltete, ineffiziente IT-Systeme im Einsatz haben.
Für unseren Teil der Lieferkette bedeutet dies, die Realitäten von heute und die sich abzeichnenden Herausforderungen von morgen in Einklang zu bringen. Das bestehende Produktangebot inklusive zugehöriger Versorgungsketten muss gestärkt sowie Prozesse weiter end-to-end digitalisiert werden, um aus dem laufenden Business mit fossilen Brennstoffen die Erträge zu erwirtschaften, die erforderlich sind, um neue Energieprodukte und -dienstleistungen zu entwickeln sowie neue Märkte zu erschließen.
Und um diesen Herausforderungen erfolgreich zu begegnen, braucht es die Digitalisierung sämtlicher Prozesse und Abläufe, vor allem standardisierte, flexible, leicht skalierbare, modulare und interoperable IT-Systeme. Schließlich spielen bei Terminals und Tanklagern, als verbindendes und distribuierendes Element, operativ steuernde Terminal Management Systeme (TMS) eine erfolgskritische Rolle.
Was waren die Überlegungen, die dazu geführt haben, dass die OpenTAS ein eigenständiges Unternehmen geworden ist?
H. Wentsch: Dank unseres umfangreichen Portfolios an Lieferketten-Lösungen und -Services im Tanklager- und Terminal-Management, bietet sich uns durch die Transformation der Energie- und Chemie-Industrie ein erhebliches Wachstumspotential. Unsere Erfahrung aus der Unterstützung von rund 90 Terminals in 19 verschiedenen Ländern der letzten Jahre hat gezeigt, dass wir davon nur profitieren können, wenn wir gezielt investieren und uns als Unternehmen mit unserem Portfolio auf Softwarelösungen und Services fokussieren. Ein wichtiger Erfolgsfaktor ist dabei der Aufbau eines Ecosystems mit strategischen Allianzen und Technologiepartnern in den jeweiligen Regionen – neben Europa verstärkt auch in Nord- und Südamerika sowie dem Mittleren Osten. Nur so können wir die marktspezifischen Bedarfe und die nicht zu unterschätzenden kulturellen Bedürfnisse erfüllen.
Das erfordert umfangreiche Investitionen in Produkte, Dienstleistungen und in strukturelles Wachstum. Durch die Trennung vom SAP-basierten Downstream- und Retail-Geschäft legen wir einen klaren Fokus auf nachhaltige Investitionen und schaffen Raum für Innovation.
Ändert sich durch die neue Unternehmensstruktur etwas für Ihre Kunden?
H. Wentsch: Für unsere Kunden im day2day-Business ändert sich nichts, schließlich ist unser Terminal Management System das digitale Herz fast jedes modernen Tanklagers. Jeden Tag verwalten unsere Systeme aktuell die Be- und Entladung von 3.200 Lastwagen, 1.000 Eisenbahnwaggons und 43 Schiffen. Unsere Kunden vertrauen darauf, dass unsere Systeme einwandfrei funktionieren und wir sie proaktiv bei ihrer Geschäftsentwicklung begleiten und unterstützen. Sie profitieren bereits heute von unserem klaren Geschäftsfokus sowie dem damit verbundenen Tempo an innovativen Lösungen und Dienstleistungen.
Denn schon jetzt verfügen wir über ein Produkt- und Service-Portfolio, um unsere Kunden bei den anstehenden Transformationsprozessen aktiv zu begleiten. Parallel dazu entwickeln wir unsere Terminal-Management-Lösung OpenTAS weiter und setzen dabei auf einen marktführenden Technologie-Stack der unseren Kunden langfristige Investitionssicherheit garantiert sowie eine kontinuierlich schnelle Adap-
tion von neuen IT-Innovationen.
Womit grenzt sich das Angebot der OpenTAS vom Wettbewerb ab, was ist der USP der OpenTAS?
H. Wentsch: OpenTAS als Software für das operative end-to-end-Management von Terminals und Tanklägern ist heute und auch in der Zukunft das Herz unseres Unternehmens. Unsere Kunden profitieren vom Umfang, aber auch von der Modularität hinsichtlich der spezifischen Einsatzmöglichkeiten. Und unser Portfolio ist bereits heute deutlich größer. Dazu gehören beispielsweise die automatisierte Integration von Spediteuren, Intelligentes Dispatch Management, CO2-Emissions-Management oder eine KI-basierte Geschäftsprozessoptimierung. Unser Fokus bei der Entwicklung liegt immer darauf, wie unsere Lösungen die Kunden dabei unterstützen ihre Wettbewerbsfähigkeit und Profitabilität zu verbessern.
Unser Terminal Management System OpenTAS gilt als eines der weltweit führenden. Mit unseren Lösungen profitieren unsere Kunden „out of the box“ von den Erfahrungen anderer Unternehmen in der operativen Steuerung von Terminals und Tanklägern. Schließlich werden mit unseren Systemen jährlich über 130 Millionen Tonnen Produktbewegungen in und aus Terminals voll digital abgewickelt. Ein weiterer Nutzen von OpenTAS besteht darin, dass es eine herstellerunabhängige Lösung ist, die mit jeder Art von Feldausrüstung verwendet werden kann. Es lässt sich in alle bestehenden IT-Landschaften integrieren, da es sämtliche gängigen branchen- und herstellerspezifischen Protokolle unterstützt.
Außerdem bieten wir die schon erwähnten AddONs als Ergänzung zu unserem TMS an, die zusätzliche Herausforderungen adressieren. Viele davon können eigenständig oder als modulare Erweiterung des TMS eingesetzt werden. Durch offene Standards und umfassende Schnittstellenunterstützung sind so ein reibungsloser Datenaustausch und die Kompatibilität beispielsweise mit ERP-Systemen sowie jeder Art von Feldsystemen oder Infrastruktur möglich.
Wie möchten Sie Ihre Kunden bei der Bewältigung der von Ihnen identifizierten Herausforderungen der Zukunft unterstützen, worauf muss sich der Markt einstellen?
H. Wentsch: Die Zusammenarbeit mit unseren Kunden, Partnern und Verbänden zeigt, dass sich die Diversifizierung der Produkte beschleunigt. Daher muss auch die Digitalisierung beschleunigt werden, was direkt zu Investitionen in die Infrastruktur und in IT-Systeme führen wird.
Die Konvergenz von operativen Technologien und IT ist dabei die Grundlage. Aufgrund der bestehenden Legacy Systeme kann das in Schritten erfolgen, erfordert aber immer eine konkrete Analyse der Geschäftsprozesse, um die Einsparpotentiale bei manuellen Prozessen und der Integration von bestehenden Systemen zu identifizieren. Die zwangsweise Ablösung der Lega-
cy Lösungen wird damit vermieden und kann gut vorbereitet in den Folgejahren geplant werden. Wie wir aus vielen Projekten in Europa, dem Mittleren Osten sowie Nord- und Lateinamerika sehen, ist es eine enorme Herausforderung, Brownfield-Terminals zu optimieren und zukunftsfähig zu machen. Da dieser Prozess aber alternativlos ist, beginnen viele unserer Kunden mit der digitalen Transformation und planen gleich den nächsten logischen Schritt – die Automatisierung ihrer Terminals.
Um unseren Kunden die größtmögliche Investitionssicherheit zu geben, haben wir uns entschieden unsere Industrie-Lösungen mit Unterstützung von Microsoft auf Grundlage von Microsoft-Technologien weiterzuentwickeln und Lösungen und Innovationen auf Microsoft-Marktstandards aufzusetzen.
Unsere Kunden erhalten damit über unsere Lösungen schnellen und effizienten Zugang zu neuen Technologien, eine nachhaltige und zukunftssichere Konvergenz von OT und IT, und profitieren direkt von IT-Security Standards führender Hersteller. Wir verbinden damit unsere 40-jährige Industrie-Expertise mit den Stärken von standardisierten IT-Komponenten. Die modularen Lösungen können entsprechend dem Geschäftsmodell und den Anforderungen als offene und integrierte Lösung eingesetzt werden. Aufgrund der bereits im Standard enthaltenen Funktionen wie zum Beispiel Analytics und KI, beschleunigen und vereinfachen wir die Automatisierung. So gehen beispielsweise Sicherheit auf höchstem Niveau unter Berücksichtigung der letzten Industrie-Standards gleichzeitig Hand in Hand.
Wie sieht das Tanklager der Zukunft in Ihrer Vision aus und welche Produkte werden dort künftig umgeschlagen? Sind die aktuellen Marktteilnehmer auf diese Entwicklungen bereits vorbereitet und welchen Handlungsbedarf sehen Sie?
H. Wentsch: Das Tanklager wird auch in der Zukunft eine elementare Rolle in der Sicherstellung einer nahtlosen Lieferkette spielen. Die Produktvielfalt wird weiter zunehmen. Diese Anforderungen müssen IT-Lösungen unterstützen und die Möglichkeiten eröffnen, auf Veränderungen schnell reagieren zu können. Ein profitabler Betrieb wird sich sonst nur noch schwer realisieren lassen. Die damit zunehmende Komplexität wird nur mit entsprechend darauf ausgerichteten IT-Lösungen zu bewältigen sein
Für den zukunftsfähigen Terminalbetrieb ist daher die Digitalisierung aller Prozesse und Abläufe unerlässlich. Am Ende dieses Transformationsprozesses steht für uns das autonome Terminal, in dem alle Prozesse unabhängig voneinander ablaufen können und das sich selbständig an die Echtzeit-Datenlage anpasst. Ein autonomes Terminal wird menschliche Eingriffe deutlich reduzieren, damit die Sicherheit erhöhen und Durchlaufzeiten optimieren. Im Gegensatz zu herkömmlichen automatisierten Systemen lernen autonome Terminals kontinuierlich dazu und passen sich an veränderte Bedingungen automatisch an, um den Betrieb in Echtzeit zu optimieren. Sie sind so konzipiert, dass sie sich nahtlos in firmeneigene sowie Systeme von Kunden und Lieferanten integrieren lassen. So entsteht ein vernetztes Ökosystem und eine digitale end-to-end-Lieferkette.
Die Entwicklung eines autonomen Terminals erfolgt dabei schrittweise, beginnend mit einer Teilautomatisierung und fortschreitend mit immer komplexeren automatisierten Aufgaben. Auf der höchsten Stufe verwalten autonome Terminals ihren Betrieb selbstständig und gewährleisten Ausfallsicherheit, Flexibilität und Effizienz als Reaktion auf sich ändernde Marktanforderungen, gesetzliche Vorschriften und Erwartungen der Mitarbeiter. Diese Systeme sind für die künftige Energielandschaft von entscheidender Bedeutung, da sie eine intelligentere Entscheidungsfindung ermöglichen und die Betriebsabläufe verbessern.
Wir sehen uns hier in der Rolle des „Digital Engineers“ und Beraters mit 40-jähriger Industrie-Expertise welche wir mit dem Know-how von State-of-the-Art IT-Technologie und einem Partner-Ecosystem aus Allianzen, Systemintegratoren und Technologiepartner kombinieren, um innovative und kosteneffizienten Digitalisierungslösungen für die Energie- und Chemieindustrie realisieren zu können.
Was erwarten Sie, wie sich die Landschaft von Tanklagerstandorten, Betreibern, Einlieferern und Stoffströmen in Deutschland sowie im globalen Kontext künftig entwickeln wird?
H. Wentsch: Die Branchenlandschaft sowie ihre Infrastruktur und Technologie stehen in den kommenden Jahren vor einem tiefgreifenden Wandel, angetrieben von Marktstandards. In Deutschland und ganz Europa wird der Fokus auf Nachhaltigkeit und Dekarbonisierung weiter zunehmen, wodurch die Einführung alternativer Energieträger wie Wasserstoff, Biokraftstoffe und synthetische Kraftstoffe beschleunigt wird. In anderen Regionen, wie etwa Nord- oder Lateinamerika sowie dem Mittleren Osten werden politische Entwicklungen oder deren Standortfaktoren die Prioritäten beeinflussen und zu unterschiedlichen Entwicklungen führen.
Regulatorische Veränderungen und geopolitische Dynamiken werden weiter die Standortstrategien und Stoffströme prägen und die Notwendigkeit flexibler und widerstandsfähiger Logistiklösungen unterstreichen. Dies in Verbindung mit den Anforderungen an nahtlos dokumentierte Lieferketten wird die Digitalisierung schnell und nachhaltig vorantreiben.
Dafür erfordert es strategische Allianzen und innovative Lösungsansätze, um eine nahtlose Integration erneuerbarer Energien in bestehende Infrastrukturen zu ermöglichen. Wichtige Grundlagen für das künftige Wachstum und die Anpassungsfähigkeit in unserer Branche.
Herr Wentsch, vielen Dank für das Interview.