Im Interview Nicholas Neu, Head of Corporate Communications & Marketing der Westfalen AG: Nachhaltigkeit muss die gesamte Organisation durchdringen

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Allgemein, Energie, Interviews, Mobilität & Kraftstoffe, Nachhaltigkeit, Unternehmen
Nicholas Neu, Head of Corporate Communications & Marketing der Westfalen AG, über die ambitionierten Klimaziele der Westfalen Gruppe und den schrittweisen Übergang zu nachhaltigen Energielösungen in allen Geschäftsfeldern.
Foto: Westfalen AG

Gibt es etwas, das Sie persönlich in Ihrem Alltag verändert haben, um nachhaltiger zu leben?
Da ich für eine Unternehmensgruppe tätig bin, die nicht nur deutschlandweit, sondern auch im europäischen Ausland aktiv ist, bin ich grundsätzlich viel unterwegs. Dabei versuche ich zunehmend die entsprechenden Orte über öffentliche Verkehrsmittel zu erreichen, was nebenbei auch den Vorteil hat, dass ich unterwegs arbeiten kann.

Mit der EcoVadis-Medaille werden Unternehmen gewürdigt, die bestimmte Nachhaltigkeitskriterien erfüllen. Die Westfalen erhielt in diesem Jahr die EcoVadis-Goldmedaille und gehört damit im konkreten Ranking zu den besten drei Prozent aller im vergangenen Jahr bewerteten Unternehmen. Wo sehen Sie bei der Westfalen trotzdem noch Luft nach oben in puncto Umweltschutz und Nachhaltigkeit? Was sind nächste konkrete Ziele und wie werden diese nachverfolgt?
Grundsätzlich sehen wir in allen unseren Geschäftsfeldern noch Luft nach oben, weil wir uns Schritt für Schritt von fossilen Energien trennen und dabei zunehmend in umweltfreundliche Lösungen investieren. In der Mobilität werden wir zum Beispiel das Schnellladenetz weiter ausbauen. Bei der Wärmeversorgung wollen wir mit unseren strombasierten Lösungen stärker wachsen. Und im Gase-Bereich setzen wir etwa vermehrt auf Kältemittel, die entweder klimaneutral sind oder ein möglichst geringes Treibhausgas-Potenzial haben. Konkret in Zahlen ausgedrückt, haben wir es uns zum Ziel gesetzt, unsere eigenen direkten und indirekten THG-Emissionen – also Scope 1 und 2 – bis 2030 um 50 % gegenüber 2019 zu reduzieren. Dazu folgt in Kürze in unserem Nachhaltigkeitsbericht ein entsprechendes Update. Zugleich wollen wir im selben Zeitraum die THG-Emissionen aus verkauften Energieträgern um 20 % senken. Um diese Ziele konsequent im Blick zu behalten, haben wir ein interdisziplinäres Nachhaltigkeitsteam im Unternehmen etabliert. Klar ist aber auch: Nachhaltigkeit muss die gesamte Organisation durchdringen und alle Mitarbeitenden sind Teil davon. Wir freuen uns über die EcoVadis-Goldmedaille, weil sie zeigt, dass wir mit unseren Aktivitäten auf dem richtigen Weg sind.

Sie errichten aktuell Ihren ersten Wasserstoff-Elektrolyseur zur Versorgung des Stahlherstellers ArcelorMittal in Frankreich – ein wichtiger Schritt in Richtung klimafreundliche Industrieproduktion. Welche Rolle spielt dieses Projekt in Ihrer Nachhaltigkeitsstrategie, und sehen Sie darin ein Modell für weitere Partnerschaften in kohlendioxidintensiven Branchen?
Der Elektrolyseur in Frankreich ist ein ganz besonderes Projekt, da es unsere erste Anlage dieser Art sein wird, mit der wir Wasserstoff produzieren werden. An Wasserstoff wird kein Weg vorbeiführen, wenn es um industrielle Prozesse mit hohen Temperaturen geht. Das trifft auch auf die Erzeugung von Stahl zu und deswegen handelt es sich bei der Kooperation mit ArcelorMittal um ein zukunftsweisendes Projekt, mit dem wir als Beispiel vorangehen wollen. Viele wichtige Teile der Industrie sind schließlich auf den Energieträger angewiesen.

Sie wollen möglichst viele Propan-Pfandflaschen von Endkunden, die derzeit in privaten Schuppen lagern, zurückerhalten, um sie erneut in den Kreislauf einzubringen. Teil der Aktion ist auch ein Gewinnspiel, bei dem 100 Gramm Feingold im Wert von rund 8.500 Euro verlost werden. Wie wird diese Aktion bislang angenommen? Und braucht es aus Ihrer Sicht solche Impulse, um bei Endverbrauchern mehr Bewusstsein und Handlungsbereitschaft zu schaffen?
Solche Impulse sind sehr wichtig. Unsere Analysen zeigen, dass ein signifikanter Anteil unserer Propanflaschen dauerhaft nicht zu uns zurückkehrt. Dies zwingt uns, jährlich tausende Flaschen neu produzieren zu lassen. Hier liegt ein großes Potenzial für mehr Nachhaltigkeit und Ressourcenschonung. Jede Flasche, die wir nicht neu produzieren müssen, schont Ressourcen und trägt dazu bei, die Kosten für unsere Kundinnen und Kunden langfristig stabil zu halten. Das ist unabhängig von dem aktuellen Gewinnspiel auch unser dauerhaftes Anliegen. Bereits jetzt wird deutlich, dass das Thema in möglichst vielen Kanälen präsent sein muss, um das Bewusstsein und die Handlungsbereitschaft effektiv zu beeinflussen.

Mit der ISCC EU-Zertifizierung für Westfalengas Bio bieten Sie als einer der ersten Versorger in Deutschland ein vollständig rückverfolgbares, nachhaltiges Flüssiggasprodukt an. Welche Bedeutung hat diese Zertifizierung für Ihre Geschäftskunden – insbesondere in Hinblick auf den Europäischen Emissionshandel und die steigende CO2-Bepreisung in energieintensiven Branchen?
Die ISCC EU-Zertifizierung von Westfalengas Bio, die wir in diesem Jahr erhalten haben, garantiert eine lückenlose Rückverfolgbarkeit und bestätigt die nachverfolgbare Herkunft des Flüssiggases aus erneuerbaren Rohstoffen. Für Geschäftskunden ist dies besonders relevant, da sie damit den Anforderungen des Europäischen Emissionshandels gerecht werden und mithilfe des Produkts angesichts steigender CO2-Bepreisung in energieintensiven Branchen profitieren können. Zudem unterstützt die Zertifizierung Unternehmen dabei, ihre Klimaziele zu erreichen und ihre Nachhaltigkeitsstrategie glaubwürdig umzusetzen.

Sie lassen derzeit den CO2-Fußabdruck von Westfalengas Bio im Rahmen einer PCF-Zertifizierung exakt ermitteln. Welchen konkreten Mehrwert bietet diese Transparenz für Ihre Kunden – und welche Rolle spielt die nachvollziehbare CO2-Bilanz künftig in Ihrer Strategie für nachhaltige Energielösungen?
Die PCF-Zertifizierung von Westfalengas Bio ist ebenfalls bereits erfolgreich abgeschlossen und schafft transparente Nachweise zur deutlich geringeren Umweltbelastung durch unser biogenes Produkt. Unsere Kunden können ihren CO2-Fußabdruck dadurch um bis zu 87 % im Vergleich zu konventionellem Flüssiggas reduzieren. So unterstützen wir private Haushalte und Industriekunden gleichermaßen bei der Erreichung ihrer Klimaziele und der Einhaltung gesetzlicher CO2-Vorgaben. Unternehmen können mit den Werten auch direkt in ihrer eigenen Nachhaltigkeitsberichterstattung arbeiten. Damit ist die nachvollziehbare CO2-Bilanz ein zentraler Baustein unserer Strategie für erneuerbare Energielösungen.

Kürzlich wurde Ihre Geschäftsstelle Ziel einer Protestaktion von Klimaschützern, bei der unter anderem der Slogan „Sauberes Gas – Dreckige Lüge!“ angebracht wurde. Wie gehen Sie mit solcher Kritik um? Und wie positionieren Sie sich in der öffentlichen Debatte um die Rolle von Biogas und synthetischen Kraftstoffen in der Energiewende?
Wir nehmen Kritik grundsätzlich ernst, distanzieren uns aber entschieden gegen die von den Aktivisten angeführten Vorwürfe. Es ist richtig und wichtig, sich für mehr Klimaschutz zu engagieren und sich kritisch mit dem eigenen Handeln auseinanderzusetzen, um das Umweltbewusstsein zu stärken. Deswegen sind wir auch immer offen für einen konstruktiven Austausch mit kritischen Gruppen. Steht aber Vandalismus im Mittelpunkt von Protest, können wir dafür kein Verständnis aufbringen. Uns ist bewusst, dass synthetische Kraftstoffe wie HVO in der Mobilität und Bio-Flüssiggas in der Wärmeversorgung wichtige Technologien auf dem Weg in eine erneuerbare Zukunft sind. Sie können aber schon jetzt einen Teil zur Dekarbonisierung beitragen, während die großen, zukunftsträchtigen Lösungen flächendeckend noch nicht tragfähig sind. Jede CO2-Emission, die vermieden werden kann, hilft. Wir sind überzeugt, dass sich im Pkw-Bereich der Elektroantrieb durchsetzen wird, und deswegen bauen wir auch unser Schnellladenetz kontinuierlich aus. Im Schwerlastverkehr gibt es jedoch noch unterschiedliche Optionen, hier sehen wir Wasserstoff als mögliche Ergänzung.

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