Eine neue Studie, die von der RCI Renewable Carbon Initiative, gegründet von der nova.Institut GmbH, Hürth, und dem BIC Biobased Industries Consortium aus Brüssel in Auftrag gegeben wurde, zeigt, dass es möglich ist, bis 2050 rund 20 % des gesamten globalen Kohlenstoffbedarfs der Chemie- und Grundstoffindustrie aus Biomasse nachhaltig zu decken. Diese wichtige Erkenntnis unterstreicht das Potenzial für eine Defossilisierung der Branche, die derzeit zu mehr als 90 % auf fossile Ressourcen angewiesen ist, um ihren Kohlenstoffbedarf zu decken.
Die Chemie- und Folgeindustrien sind in hohem Maße von Kohlenstoff abhängig, wobei mehr als 90 % dieses eingebetteten Kohlenstoffs heute aus fossilen Ressourcen wie Erdöl, Erdgas und Kohle stammen, die wesentlich zum Klimawandel beitragen. Um bis 2050 Klimaneutralität zu erreichen, muss der eingebettete Kohlenstoff in Chemikalien und Materialien defossilisiert und durch erneuerbare Alternativen aus biogenem Kohlenstoff, Kohlenstoff aus CO2 und Recycling ersetzt werden. In verschiedenen Studien wird der Anteil der Biomasse auf rund 20 % geschätzt. Es herrscht jedoch Skepsis darüber, wie viel Biomasse neben dem Bedarf an Lebens- und Futtermitteln tatsächlich verfügbar ist.
Die RCI und das BIC haben eine Studie in Auftrag gegeben, die sich mit der Kernfrage beschäftigt: Können Agrar- und Forstbiomasse zusammen nachhaltig genügend Biomasse liefern, um 2050 rund 20 % des künftigen Kohlenstoffbedarfs der chemischen Industrie und der Grundstoffindustrie zu decken, gegenüber 5,5 % (EU27) und 10 % (weltweit) im Jahr 2023? Die Studie wurde vom nova-Institut in Zusammenarbeit mit der EuroCARE Bonn GmbH und dem Ti-WF Johann Heinrich von Thünen-Institut, Bundesforschungsinstitut für Ländliche Räume, Wald und Fischerei, Braunschweig, durchgeführt.
Um diese Frage auf objektive, wissenschaftliche Weise zu untersuchen, wurden in der Studie eine belastbare Datenbasis für die aktuelle Biomassenutzung erhoben und verschiedene Zukunftsszenarien angenommen, um eine Reihe möglicher Entwicklungen zu modellieren. Diese Szenarien bestehen aus einem Business-as-usual (BAU), zwei „grünen“ Low Resource Depletion (LRD) und drei „grünen“ High Technology (HT) Szenarien. Zusammen mit der EuroCare und dem Ti-WF wurden die Entwicklungen der Biomasseverfügbarkeit für diese Szenarien analysiert, sowohl für die Landwirtschaft als auch für die Forstwirtschaft.
Das wichtigste Ergebnis der Studie
Die Deckung von 20 % des gesamten globalen Kohlenstoffbedarfs des Sektors Chemikalien und Folgeprodukte im Jahr 2050 aus Biomasse ist nachhaltig machbar. Unter dem moderaten HT-Szenario, das die wahrscheinlichste Entwicklung darstellt, kann der Anteil von 20 % erreicht werden, ohne die Versorgung mit Nahrungs- und Futtermitteln und Biokraftstoffen zu gefährden. Deutlich mehr als 20 % des Kohlenstoffbedarfs aus Biomasse zu decken, wäre bei der derzeitigen Biokraftstoffpolitik und einem nur moderaten HT-Szenario für die Landwirtschaft kaum möglich; stärkere Hightech-Szenarien könnten hier bis zu 40 % liefern.
Landwirtschaft
In allen Szenarien wird davon ausgegangen, dass die landwirtschaftliche Biomasseproduktion bis 2050 stetig wachsen wird. Der Hauptgrund dafür ist die zusätzliche Nachfrage nach Nahrungs- und Futtermitteln aufgrund des Bevölkerungswachstums von 7,7 Mrd. auf 9,6 Mrd. Menschen bis 2050. Je nach Art des Szenarios – BAU, Green LRD oder HT – liegen die Wachstumsraten zwischen 24 % und 53 %, für BAU beträgt der prognostizierte Anstieg 31 % beziehungsweise auf 5,07 Mrd. t.
Die prognostizierte künftige Nachfrage nach Stärke, Zucker und Pflanzenöl – die 2050 immer noch die wichtigsten Rohstoffe für die chemische Industrie sind – kann in den High-Tech-Szenarien gedeckt werden: Der erforderliche Mehrertrag liegt bei rund 10 % (im Vergleich zu BAU), so dass das moderate HT+10-Szenario zur Deckung der Nachfrage völlig ausreicht. Stärkere Hightech-Szenarien in der Landwirtschaft, zum Beispiel durch KI, Präzisionslandwirtschaft, Drohnen oder GVO, können sogar genug Biomasse liefern, um das 20 %-Ziel deutlich zu übertreffen, nämlich um bis zu rund 40 %.
Technologische Innovationen spielen die wichtigste Rolle bei der Erreichung des 20 %-Ziels. Gleichzeitig kann durch die effizientere Erzeugung und Nutzung von Biomasse in HT-Szenarien mehr Land für die Wiederherstellung der Natur zur Verfügung gestellt werden.
Um den Anteil der verfügbaren Biomasse zu erhöhen, können mehr lignozellulosehaltige Rohstoffe wie Stroh, Holz und Bioabfall verwendet werden. Der Zugang zu diesen speziellen Rohstoffen steht jedoch in starkem Wettbewerb mit nachhaltigen Flugkraftstoffen (SAF), die durch Quoten politisch stark gefördert werden.
Die Menge des verfügbaren Strohs könnte erheblich gesteigert werden, wenn neben Weizen-, Gersten-, Roggen- und Haferstroh auch Mais- und Reisstroh genutzt werden würde. Wenn diese Mengen zur Verfügung stünden, könnte sich Stroh zu einem wichtigen Rohstoff für die Chemie entwickeln.
Forstwirtschaft
Das weltweite Angebot und die Nachfrage nach Industrierundholz (Nadel- und Laubholz) werden zwischen 2020 und 2050 um schätzungsweise 38 % steigen, von 0,9 Mrd. t auf 1,3 Mrd. t Trockenmasse pro Jahr. Der größte Anstieg des Angebots wird in Asien (69 %), einschließlich China und Russland, erwartet, aber auch für Europa wird ein signifikanter Anstieg von 32 % gesehen. Die Unterschiede zwischen den Szenarien sind hier im Vergleich zum Agrarsektor vergleichsweise gering.
Die zusätzliche Nachfrage der Chemie- und Werkstoffindustrie ist vergleichsweise gering im Vergleich zu den schnell wachsenden traditionellen Anwendungen von Holz, vor allem im Bau- und Möbelbereich. Dies bedeutet, dass es im Prinzip sehr gut möglich ist, die Nachfrage der Chemie- und Werkstoffindustrie langfristig zu decken. Es gibt mehrere Möglichkeiten, dies zu erreichen:
- Nutzung eines relativ kleinen Anteils des gesamten industriellen Rundholzangebots (Bewertung der Kosteneffizienz)
- Nutzung von Nebenprodukten aus der industriellen Rundholzverarbeitung (Problem des hohen Wettbewerbs)
- Umleitung eines relativ kleinen Anteils aus dem Energieholzsektor.
Bei einer ganzheitlichen Betrachtung ist der zusätzliche Bedarf der chemischen Industrie an Biomasse zur Deckung von 20 % ihrer Produktion bis 2050 selbst für Europa vergleichsweise gering: Der Bedarf an landwirtschaftlicher Primär-Biomasse in Europa würde rund 8 % des Gesamtangebots (30 Mio. t dm von 390 Mio. t dm) und rund 3 % des Angebots der europäischen Forstwirtschaft (Industrierundholz, Brennholz und industrielle Rundholznebenprodukte, 12,6 Mio. t dm von 398 Mio. t dm) erfordern.