Damit Europa seine Klimaziele erreicht und bei der Energieversorgung wettbewerbsfähiger und unabhängiger wird, muss die installierte Gesamtleistung der Offshore-Windkraftanlagen bis 2030 von 36 GW auf 120 GW steigen. Das entspricht einem Zubau von 5.600 Anlagen der 15-MW-Klasse in sieben Jahren. Dafür hat die Branche zugesagt, ihre Kapazitäten von 7 GW/a auf 20 GW/a fast zu verdreifachen. Doch seit 2022 sind die Kosten um 40 % gestiegen, getrieben durch Inflation, steigenden Zinsen und Lieferengpässe. In der Vergangenheit führte der anhaltende Wettlauf um immer größere Turbinen noch zu erheblichen Kostensenkungen. Doch diese Kostenvorteile schwinden, während kurze Produktlebenszyklen und schlechte Planbarkeit das Hochfahren von Produktions- und Lieferkapazitäten behindern. Um diesen Teufelskreis zu durchbrechen, empfehlen die Windkraftexperten der Roland Berger GmbH, München, in einer aktuellen Branchenanalyse die Begrenzung und Standardisierung der Turbinengröße sowie einen Fahrplan für die spätere schrittweise Steigerung der Turbinengröße.
Uwe Weichenhain, Partner bei der Roland Berger, erläutert, dass sich die Offshore-Wind-Branche seit Jahren einen Wettlauf um die größten und leistungsstärksten Turbinen liefert. Dies war lange Zeit wirtschaftlich sinnvoll, da größere Anlagen zu geringeren Stromgestehungskosten führten. So lässt sich durch eine Erhöhung der Turbinenleistung von 4 MW auf 11 MW die Zahl der Windkraftanlagen in einem Ein-Gigawatt-Windpark um 75 % senken. Erhöht man dagegen die Leistung nochmal um 7 MW von 15 MW auf 22 MW, spart das nur noch rund 30 % der Turbinen. In der Vergangenheit galt, dass mit einer geringeren Anzahl größerer Turbinen die Investitionen pro MW Leistung sowie die Kosten für Installation und Unterhalt reduziert werden. Nun befindet sich die Branche jedoch an einem Wendepunkt, da der Kostenvorteil größerer Turbinen immer kleiner wird. Außerdem schaffen die kurzen Produktlebenszyklen laufend neue Anforderungen an die Lieferkette, beispielsweise an Installationsschiffe, was Kosten und Komplexität steigen lässt.
Schon die aktuellen 15-MW-Anlagen sind mit 330 m Höhe so groß wie der Eiffelturm, betonen die Studienautoren. Doch während dessen Bau über zwei Jahre dauerte, müssen jetzt innerhalb von sieben Jahren 5.600 Windräder im Meer errichtet und dafür die Kapazität der Branche verdreifacht werden. Um diese Herausforderung zu schaffen, empfehlen die Roland Berger-Experten, den Wettlauf um immer größere Turbinen zu stoppen. Dafür sollten staatliche Windpark-Ausschreibungen einen europaweit einheitlichen Standard vorgeben, der sich an der aktuellen Turbinengeneration mit 14 MW bis 15 MW Leistung orientiert. So können die Hersteller diese Modelle weiter optimieren und alle anderen Beteiligten sich darauf einstellen, dass die Dimensionen von Turbinen, Türmen, Rotorblättern und anderen Komponenten für einen vorgegebenen Zeitraum gleichbleiben.
Planbarkeit macht Lieferketten stabiler und Investitionen sicherer
Marc Sauthoff, Partner bei der Roland Berger, erläutert, dass der Standard lange genug gelten muss, damit die Branche eine robuste, industrialisierte Lieferkette aufbauen kann. Zusätzlich braucht es einen Zeitplan für die anschließende schrittweise Anhebung der Turbinengröße, damit die Anbieter den Bedarf genau prognostizieren und den nötigen Ausbau ihrer Lieferkapazitäten sowie Investitionen in technologische Innovationen vorausplanen können.
Die Analysen der Roland Berger-Experten zeigen eine Reihe von Vorteilen der Standardisierung: Unter anderem befördern höhere Produktionsvolumina derselben Turbinentypen Lerneffekte und steigern die Effizienz und Produktqualität; außerdem wird die gesamte Lieferkette stabiler und routinierter. Die bessere Vorhersehbarkeit der künftigen Entwicklung erhöht die Sicherheit von Investitionen, beispielsweise in Forschung und Entwicklung oder in den Ausbau von Produktionsanlagen und befördert so die Industrialisierung der Branche. Erfahrungen aus anderen Sektoren, zum Beispiel der Telekommunikationsindustrie mit ihren weltweiten Standards, zeigen, dass so insgesamt die Kosten sinken, während gleichzeitig das Tempo des Kapazitätsausbaus steigt.
M. Sauthoff erläutert, dass für den Erfolg der europäischen Offshore-Windindustrie nicht mehr die Größe der Turbinen oder die Höhe der Windkraftanlagen entscheidend ist. Vielmehr wird die Branche nur dann wirklich zukunftssicher, wenn sie ihre Lieferketten weiter industrialisiert. Voraussetzung dafür ist, dass der Teufelskreis des Wettlaufs um immer größere Turbinen durch einen europaweit einheitlichen Standard durchbrochen wird.