Kein Ende der Durststrecke: Bilanz der chemisch-pharmazeutischen Industrie 2024

Gesch. Lesedauer: 3 Minuten
Chemie, Unternehmen
Jahrespressekonferenz des VCI Verband der Chemischen Industrie e. V. am 13. Dezember 2024 in Frankfurt mit VCI-Präsident Markus Steilemann und VCI-Hauptgeschäftsführer Wolfgang Große Entrup.
Foto: VCI/Thomas Lohnes

Für die Chemie- und Pharmaindustrie nähert sich ein weiteres schwieriges Jahr dem Ende. Mit Blick auf die anhaltende Rezession in der Industrie kommentiert Markus Steilemann, Präsident des VCI Verband der Chemischen Industrie e. V., Frankfurt, die Branchenbilanz bei der Jahreskonferenz des Verbands am 13. Dezember dieses Jahres. Er stellte fest, dass die Bilanz trübe sei, aber der einzige Lichtblick darin bestehe, dass die rasante Talfahrt der letzten beiden Jahre nicht weiter fortgesetzt wurde.

Produktion hinkt Niveau der vergangenen Jahre hinterher
2024 verbuchte die Produktion der chemisch-pharmazeutischen Industrie ein Plus von 2 % – das ist weniger, als sich die Branche nach dem positiven Jahresbeginn erhofft hatte. Insgesamt liegt der Output weit unter dem Niveau der vergangenen Jahre: Die Produktion der chemisch-pharmazeutischen Industrie fiel 2024 rund 16 % niedriger aus als 2018, die Chemie verzeichnete ein Minus von 17 %.

Aufträge waren Mangelware in diesem Jahr – und sie fehlen weiter. Die Produktionsanlagen wurden 2024 im Schnitt nur zu 75 % ausgelastet. Seit vier Jahren in Folge liegt die Chemie- und Pharmabranche damit deutlich unter dem notwendigen Grundwert für einen rentablen Betrieb. Als Konsequenz wurden in den vergangenen Monaten erste Anlagen dauerhaft geschlossen. Weitere Stilllegungen werden wohl folgen.

Die Produktion chemischer Grundstoffe konnte in diesem Jahr um rund 8 % gesteigert werden. Jubel ist in diesem Zusammenhang verfehlt: Die Grundstoffproduktion wurde in den Vorjahren um mehr als ein Viertel zurückgefahren. Dies gilt auch für Polymere und Konsumchemikalien, deren Produktionszahlen sich 2024 etwas langsamer erholten, um 4 % beziehungsweise 2 %. Bereits zum dritten Mal in Folge gab es einen Produktionsrückgang bei den Herstellern der Spezialchemie – in diesem Jahr lag er bei 2 %.

Die Pharmaproduktion meldet für 2024 ein Minus von 1,5 %. Verantwortlich dafür waren Lieferkettenprobleme, Kapazitätsengpässe und hohe Kosten am Standort Deutschland. On top kam ein deutlicher Rückgang der Bestellungen aus Europa und den USA.

Chemie und Pharma erwirtschafteten in diesem Jahr einen Umsatz von 221 Mrd. Euro (- 2 %). Das Minus im Auslandsgeschäft (139 Mrd. Euro) beläuft sich auf 1 %, die Verkäufe in Deutschland (82 Mrd. Euro) sanken um 4 %. Rückläufige Preise haben das Umsatzminus verstärkt. Im Schnitt waren Chemikalien 2,5 % günstiger als im Vorjahr.

Ausblick auf 2025
Der VCI erwartet für das nächste Jahr ein geringes Produktionsplus von 0,5 %. Pharma wird voraussichtlich ein leichtes Plus (0,5 %) erzielen, der Chemiebereich stagnieren. Der Branchenumsatz wird wegen hoher Erzeugerpreise und niedrigem Auftragsbestand erlahmen (0 %). Die Branchenpreise könnten leicht sinken (- 0,5 %).

Die VCI-Mitgliedsunternehmen zeigen sich in einer aktuellen repräsentativen Mitgliederbefragung gespalten: Die Zuversichtlichen erwarten für den Sommer oder Herbst 2025 einen Aufwärtstrend. Jedes zweite Unternehmen rechnet aber erst 2026 oder später mit einer Erholung der Nachfrage.

Mehr Wettbewerbsfähigkeit und Investitionen erforderlich
Deutschland fällt in puncto Dynamik im internationalen Vergleich weiter zurück – sowohl in der Gesamtwirtschaft als auch in der Industrie und in der Chemie. Laut Sachverständigenrat liegt das Potenzialwachstum der Wirtschaft bei 0,4 % pro Jahr. Grund dafür ist die mangelnde Wettbewerbsfähigkeit, die unter hohen Produktionskosten und einer wachsenden Bürokratie leidet.

M. Steilemann betonte, dass die Politik zwar von Bürokratieentlastung spreche, in der Realität jedoch immer mehr kleinkarierte Regulierungen einführe. Er machte deutlich, dass daran nicht allein die Bundesregierung schuld sei, sondern dass das Epizentrum der Bürokratie in Brüssel liege und die Kommission Europa in den Stillstand reguliere. Um wieder wettbewerbsfähig zu werden, müssten deutsche Chemie- und Pharmaunternehmen ihre Produktivität, Effizienz und Effektivität um 10 % bis 30 % steigern. Das hat kürzlich die Unternehmensberatung Boston Consulting in einer vom VCI in Auftrag gegebenen Studie analysiert.

Innovationen und Investitionen sind nötig, um wieder auf die Erfolgsspur zu kommen. Die aktuelle Lage und fehlende Perspektiven führen aber dazu, dass Investitionsprojekte zum Teil auf Eis gelegt und Innovationsbudgets gekürzt werden. Im Branchendurchschnitt fahren VCI-Mitglieder diese Budgets gerade in Deutschland herunter. Im Gegenzug nehmen Investments im Ausland (USA, Asien und Europa) bei knapp der Hälfte der VCI-Mitglieder zu.

2025 muss einen wirtschaftspolitischen Aufbruch bringen
Es gibt viel zu tun. M. Steilemann fordert in diesem Kontext, dass Berlin und Brüssel überzeugende Antworten für eine Reihe von dringenden Herausforderungen finden müssen. Er betonte, dass es wichtig ist, die „grüne“ Transformation und den wirtschaftlichen Erfolg in Einklang zu bringen.

Die Voraussetzungen für einen wirtschaftspolitischen Befreiungsschlag sind gut, da im Februar 2025 in Deutschland Neuwahlen stattfinden und die EU-Kommission die Wettbewerbsfähigkeit ihrer Mitglieder stärken will. Der VCI-Präsident appelliert deshalb an die Politik, das Jahr 2025 zum Jahr der Wirtschaftswende zu machen, da die Chemie- und Pharmaindustrie bereit für den Aufbruch ist.

Mit folgenden Forderungen wendet sich der VCI an die kommende Bundesregierung:

  • Wettbewerbsfähige Energiepreise: Die Stromgesamtkosten sind im internationalen Vergleich zu hoch. Es fehlt an gesicherten Erzeugungskapazitäten, Speichern und ausreichenden Stromnetzen.
  • Bürokratie abbauen und Genehmigungen beschleunigen.
  • Unternehmenssteuerreform mit deutlicher Absenkung der Steuerlast.
  • Ausgaben priorisieren: Kein Sparen bei Infrastruktur, Sicherheit und Bildung. Neben der Schuldenbremse sind verbindliche Fiskalregelungen und eine staatliche Vermögensrechnung nötig.

Beitrag teilen:

Neueste Artikel