Globale L.E.K.-Consulting-Studie bestätigt: Die Energiewende verlangsamt sich

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Forschung & Entwicklung
v.l.n.r.: Rebecca Scottorn, Partnerin der L.E.K und Expertin für die Entwicklung von ESG- und Nachhaltigkeitsstrategien, Amar Gujral, Partner der L.E.K und Experte im Bereich Energie und Umwelt, Michael Ringleb, Partner der L.E.K und Experte im Bereich Energie und Umwelt.
Foto: L.E.K. Consulting

Im Vergleich zu den Vorjahren haben Energieunternehmen 2023 die Priorität stärker auf Öl und Gas als auf neue Energiebereiche gesetzt. Dies deutet darauf hin, dass die Dynamik der Energiewende, weg von fossilen Brennstoffen, nachlässt. Das geht aus einer weltweiten Studie der globalen Strategieberatung L.E.K. Consulting, Boston, hervor.

Der Anteil an Entscheidern im Energiesektor, die eine anhaltende Fokussierung auf Öl und Gas als einen der drei wichtigsten Investitionsbereiche für die nächsten fünf Jahre nannten, stieg verglichen mit den Umfrageergebnissen von 2021 bis Mitte 2023 um 25 %-Pkt. auf über 70 %. Darüber hinaus gaben sie an, dass ihre wichtigste Nachhaltigkeitsverpflichtung im Jahr 2023 die Dekarbonisierung ihrer bestehenden Betriebe war. Die Global Energy Studie der L.E.K., die bereits zum fünften Mal durchgeführt wurde, basiert auf qualitativen Erkenntnissen aus rund 40 Roundtable-Diskussionen sowie auf quantitativen Umfragedaten von rund 300 hochrangigen Führungskräften aus verschiedenen Bereichen der Energiewirtschaft, darunter Öl und Gas, Versorgungsunternehmen, erneuerbare Energien und strategische Investoren. Die Teilnehmer der Umfrage und der Diskussionsrunden kamen aus verschiedenen Regionen, hauptsächlich aus Nordamerika, Europa und dem Nahen Osten.

Nach Informationen von Michael Ringleb, Partner der L.E.K am Münchner Standort und Experte im Bereich Energie und Umwelt, wandelt sich das Investitionsverhalten in der Energiebranche global gesehen von einer fordernden zu einer gemäßigten Haltung. Unternehmen, die sich in der Vergangenheit intensiv mit neuen Technologien und Weiterentwicklungen beschäftigt haben, sagen jetzt, dass sie das Geld besser für das Kerngeschäft einsetzen werden. Das bedeutet, dass sie ihre Produktionsprozesse optimieren und Ölförderprogramme und Erschließungen auf der „grünen“ Wiese wieder aufnehmen, wenn es wirtschaftlich und ökologisch vertretbar ist. Es bedeutet auch, dass sie die Versorgungsnetze für Gas und Flüssiggas (LNG) ausbauen oder die Raffinerie- und Mineralölkapazitäten erweitern, sofern die Nachfrage es rechtfertigt.

Die Experten sehen in der Übernahme der Pioneer Natural Resources Co. durch die ExxonMobil Corporation, beide Irving, und der geplanten Übernahme der Hess Corporation, New York City, durch die Chevron Corp., San Ramon, Anzeichen für eine Rückbesinnung auf fossile Brennstoffe. Energieunternehmen konzentrieren sich wieder auf ihr Kerngeschäft. Aufgrund hoher Zinssätze, Bedenken hinsichtlich der Energieversorgungssicherheit sowie einer starken Nachfrage und hoher Preise für Kohlenwasserstoffe drosseln sie ihre Investitionen in neue Energietechnologien, so Amar Gujral, Partner der L.E.K und ebenfalls Experte im Bereich Energie und Umwelt.

Als wichtigste Nachhaltigkeitslösung für die Öl- und Gasindustrie nannten 25 % der Befragten die Dekarbonisierung des eigenen Betriebs, das heißt die Verringerung der Scope-1-Emissionen.

Bei den Technologien für die Energiewende liegt der Schwerpunkt auf Lösungen, die eine Nutzung der bestehenden Infrastruktur ermöglichen: 39 % der Befragten gaben an, dass die Kohlenstoffabscheidung und -speicherung eine Technologie für die Energiewende ist, in die sie in den nächsten fünf Jahren investieren würden. Ebenfalls 39 % gaben an, dass die Wasserstofftechnologie ein geeignetes Entwicklungsziel sein könnte. 25 % nannte erneuerbare Brennstoffe und 17 % die Infrastruktur für Elektrofahrzeuge als mögliche Investitionsziele.

Auch wenn viele Energieunternehmen ihre Prioritäten bei der Energiewende derzeit anders setzen, ist sie noch lange nicht abgeschlossen. Sie ist eine Frage des „Wann“, nicht des „Ob“. Laut Rebecca Scottorn, Partnerin der L.E.K und Expertin für die Entwicklung von ESG- und Nachhaltigkeitsstrategien, fällt es zum jetzigen Zeitpunkt vor allem den Öl- und Gasunternehmen schwer, in neue Technologien und Projekte zu investieren. Sie konzentrieren sich daher mehr auf die Dekarbonisierung der bestehenden Infrastruktur und des Betriebs.

Der Umfrage zufolge erwarten die Öl- und Gasunternehmen, dass der Anteil ihrer Investitionsbudgets für die Dekarbonisierung in fünf Jahren auf 26 % steigen wird, verglichen mit 21 % heute.

Die Studie zeigt, dass etablierte erneuerbare Technologien – insbesondere Solar-, Wind- und Energiespeichersysteme, die bereits über eine bedeutende Infrastruktur verfügen – weiter ein gesundes Wachstum verzeichnen und erhebliche Investitionen aus dem gesamten Energiesektor erhalten werden. Dazu gehören Öl- und Gasunternehmen, Stromversorger, Unternehmen für erneuerbare Technologien und deren Investoren. 50 % der Manager im Energiesektor gaben an, dass sie in den nächsten fünf Jahren am ehesten in Solarenergie investieren werden, 33 % in Energiespeichersysteme, 29 % in Windenergie und 27 % in Wasserstofftechnologie. Die relativ geringe Resonanz auf Windenergie könnte für A. Gujral auf die kürzlich angekündigten Projektverzögerungen und -überlegungen auf dem Offshore-Windmarkt zurückzuführen sein, zum Beispiel bei Orsted Germany GmbH, Hamburg, und dem Wind-Projekt der Equinor ASA, Stavanger.

Die Entscheider der Versorgungsunternehmen gaben an, dass sie vor allem in den Ausbau von Bedarfsmanagementlösungen investieren wollen, mit dem Ziel, Kunden zu belohnen, die Solarenergie und Energiespeicher nutzen oder ihren Verbrauch zu Spitzenlastzeiten reduzieren. Außerdem konzentrieren sie sich auf die Infrastruktur für Elektrofahrzeuge und Solarenergienetze.

Nachdem Energieunternehmen in den letzten Jahren viel Neues ausprobiert und dem Nachhaltigkeitsdialog mehr Aufmerksamkeit geschenkt haben, besteht jetzt ein Umfeld, dessen Dynamik die Energieunternehmen dazu bringt, wieder mehr Geld in die Öl- und Gasförderung zu stecken und dies auch öffentlich zu kommunizieren. Die großen, etablierten Energiekonzerne glauben nach Aussage von A. Gujral nach wie vor an neue Technologien, gehen aber beim Kapitaleinsatz mit mehr Bedacht vor. Sie teilen sich das Risiko zunehmend mit spezialisierten Unternehmen, die dieser Herausforderung gewachsen sind.

Über die globale Studie zur Energiewende
Die L.E.K.-Studie wurde zum fünften Mal durchgeführt, mit besonderem Schwerpunkt auf den USA, Europa, dem Nahen Osten und Australien. Sie befasst sich mit der globalen Energiewende und den Nachhaltigkeitstrends in der Energiebranche und zeigt auf, wie sich die Perspektiven im Laufe der Zeit verändert haben. Die Studie umfasst Perspektiven aus allen Energiebereichen, einschließlich Öl- und Gasunternehmen, Versorgungsunternehmen, Unternehmen für erneuerbare Energien und Investoren.

Die Umfrage fand im Juli und August 2023 statt und richtete sich an rund 300 Führungskräfte aus dem Energiesektor, das heißt Strategen und Finanzfachleute aus den Bereichen Öl und Gas, Versorgungsunternehmen, erneuerbare Energien und Investoren. Ergänzend zu den Umfrageergebnissen wurden über 40 Roundtable-Gespräche mit hochrangigen Gesprächspartnern geführt und ausgewertet.

Diese zusätzlichen qualitativen Erkenntnisse lieferten Argumente und Kommentare zu Investitionsentscheidungen und brachten die Ansichten einer Vielzahl von Interessengruppen ein.

Über die L.E.K. Consulting
Die L.E.K. Consulting ist ein globales Strategieberatungsunternehmen, das mit Führungskräften zusammenarbeitet, um Wettbewerbsvorteile zu nutzen und das Wachstum zu steigern. Die Erfahrungen der Beraterteams beschleunigen die Geschäftsentwicklung der Kunden und geben ihr eine neue Richtung, decken Chancen auf und sorgen dafür, entscheidende Situationen zu meistern.

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