Eine kommerzielle Nutzung von Kernfusion zur Energieerzeugung ist derzeit nicht absehbar. Trotz einzelner technologischer Fortschritte bleiben fundamentale Herausforderungen ungelöst. Gleichzeitig ist jedoch eine neue Dynamik in der Forschung erkennbar, insbesondere durch verstärktes privates Engagement – das sind die zentralen Ergebnisse einer Analyse der Abteilung Energie, Verkehr, Umwelt im DIW Berlin Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung e. V., Berlin. Wie Studienautor Christian von Hirschhausen erklärt, ist aus energiewirtschaftlicher Perspektive die Kernfusion heute von einer kommerziellen Nutzung genauso weit entfernt wie in den 1950er Jahren, als die Entwicklung für zivile Zwecke anlief. Für die Energiewende ist sie damit irrelevant.
Kernfusion: Jahrzehnte voller Erwartungen, aber keine Marktreife
Seit Mitte des vergangenen Jahrhunderts gilt die Kernfusion als vielversprechende Energiequelle der Zukunft. Zahlreiche Prognosen sagten eine Marktreife innerhalb weniger Jahrzehnte voraus – eine Erwartung, die allerdings bis heute nicht erfüllt wurde. Ein zentrales Beispiel dafür ist das internationale Pilotprojekt ITER, ein Versuchs-Kernfusionsreaktor zur Grundlagenforschung in Frankreich, an dem 33 Länder beteiligt sind und dessen Zeitplan sich seit den 1980er Jahren kontinuierlich verzögert. Ursprünglich war ein Demonstrationsreaktor für die 2020er Jahre geplant, inzwischen wird die Inbetriebnahme nicht vor der zweiten Hälfte dieses Jahrhunderts erwartet. Auch die Kostensteigerungen sind immens. Wurde zunächst mit rund 5 Mrd. Euro kalkuliert, ist jetzt teilweise von mehr als 50 Mrd. Euro die Rede.
Analyse zeigt anhaltende Unsicherheiten
Die DIW-Studie analysiert umfangreiche wissenschaftliche Prognosen zur wirtschaftlichen Nutzung der Kernfusion. Die Ergebnisse verdeutlichen, dass die geschätzte Zeit bis zur kommerziellen energetischen Nutzung konstant zwischen 20 und 40 Jahren liegt – unabhängig vom Zeitpunkt der jeweiligen Vorhersage. Nach Aussage von Studienautor Alexander Wimmers könnte auch von einer „Fusionskonstante“ gesprochen werden: Die Zeit bis zur Marktreife verschiebt sich kontinuierlich in die Zukunft.
Private Kofinanzierungen treiben Innovationen voran
Andererseits hat sich in der Forschung zur Kernfusion seit einigen Jahren eine neue Dynamik entwickelt, getragen von privat kofinanzierten Unternehmen und der Zusammenarbeit privater Akteure mit öffentlichen Pilotprojekten. So flossen in den vergangenen zehn Jahren zweistellige Milliardenbeträge in rund 80 private kleine und mittelgroße Unternehmen der Branche. Diese Unternehmen setzen auf innovative Ansätze, beispielsweise leistungsfähigere Magnetspulen und Lasertechnologien. Allerdings steht auch hier die energetische Nutzung der Kernfusion nicht im Mittelpunkt. Die Entwicklung könnte der Studie zufolge die Akteurslandschaft verändern sowie bestehende Forschungsstrukturen infrage stellen.
Forschungsförderung neu ausrichten
Vor diesem Hintergrund sprechen sich die Studienautoren dafür aus, die öffentliche Forschungsförderung anzupassen und Forschungskapazitäten, die bisher eher in der Grundlagenforschung lagen, in die angewandte Forschung zu verschieben. Studienautorin Claudia Kemfert resümiert, dass Kernfusion ein langfristiges Forschungsprojekt ohne Perspektiven für die kommerzielle Energienutzung bleibt. Anstatt weiter unrealistische Hoffnungen auf eine baldige Marktreife der Kernfusion zu setzen und Milliarden in hypothetische Fusionskraftwerke zu investieren, sollte laut C. Kemfert der Fokus auf anwendungsorientierte Forschung gelenkt werden.