Clever Tanken zur Tankpreisbremse: Erhöht Durchschnittspreise und schwächt Wettbewerb

Gesch. Lesedauer: 5 Minuten
Allgemein, Digitalisierung & IT, Tankstellen, Unternehmen
Entwicklung der täglichen Preisänderungen pro Spritsorte (Median) von 2014 bis 2025: Deutlicher Anstieg ab 2018, mit Spitzenwerten um 2024 für Diesel, Super E10 und Super E5.
Foto: infoRoad GmbH / Clever Tanken

Baden-Württemberg hat am Freitag, den 17. Oktober 2025, im Bundesrat einen Vorschlag zur Einführung einer sogenannten Tankpreisbremse eingebracht. Nach österreichischem Vorbild dürfen Tankstellen ihre Preise künftig nur noch einmal täglich erhöhen, während Preissenkungen jederzeit möglich sind. Dadurch werden die Preisschwankungen an den Zapfsäulen verringert und die Preisgestaltung transparenter. Der Antrag wird jetzt in den Ausschüssen der Länderkammer weiter beraten. Welche Folgen eine solche Regelung für Verbraucherinnen und Verbraucher sowie für den Wettbewerb hat und warum das österreichische Modell für Deutschland kaum geeignet ist, erläutert Steffen Bock, Gründer und Geschäftsführer des Verbraucherinformationsdienstes Clever Tanken, ein Service der inforoad GmbH, Heroldsberg, im folgenden Interview.

Welches Ziel verfolgt die Tankpreisbremse?

Herr Bock, die Politik erhofft sich von der Tankpreisbremse mehr Transparenz und Fairness an der Zapfsäule. Teilen Sie diese Einschätzung?
S. Bock erklärt: „Ganz ehrlich: Nein. Denn mehr Transparenz, als wir sie heute haben, gibt es faktisch kaum. Die Datenlage ist durch die Markttransparenzstelle für Kraftstoffe (MTS-K) ohnehin gläsern – für Verbraucher wie Anbieter. Eine neue Regelung würde daran nichts ändern. Was die Preisbremse aber sehr wohl verändern würde, wäre der Marktmechanismus. Wenn Tankstellen ihre Preise nur noch einmal täglich anheben dürfen, wird sich der Wettbewerb zwar beruhigen, aber nicht im Sinne sinkender Preise – und damit nicht im Sinne der Verbraucher. Denn die Preiserhöhung würde sich künftig am oberen Ende des Schwankungsspektrums orientieren und nur langsam wieder nach unten bewegen. Wir würden also eher auf einem hohen Plateau landen: weniger Bewegung, aber höhere Durchschnittspreise. Das mag auf den ersten Blick angenehm erscheinen, wäre am Ende jedoch für alle teurer.“

Wie häufig werden die Preise aktuell pro Tag geändert? Kritiker sprechen von einem „Preiswahnsinn“ an deutschen Tankstellen. Clever Tanken hat nun eine systematische Untersuchung der Preisänderungen durchgeführt. Ist das Problem wirklich so groß?
S. Bock: „Nein, das ist stark überzeichnet, wie unsere eigenen Berechnungen zeigen. Zwar gibt es einzelne Extremwerte von 40 oder 50 Preisänderungen pro Tag, doch diese verzerren das Gesamtbild. Seit September 2013 werten wir monatlich Millionen Preispunkte der MTS-K aus. Genauer gesagt, erfassen wir alle zwei Minuten die Preisdaten von rund 14.500 Tankstellen. Um zu prüfen, wie sich die Preisänderungshäufigkeit in den vergangenen Jahren entwickelt hat, haben wir die Daten für Super E10, Super E5 und Diesel jetzt mithilfe von KI im Detail untersucht. Für unsere Analyse haben wir den Mai jedes Jahres seit 2014 herangezogen, also dem ersten Jahr, in dem Daten der MTS-K über den gesamten Zeitraum vorlagen.“

Das Ergebnis einer Auswertung der Clever Tanken: Seit 2014 ist die Zahl der Preisänderungen pro Tag im Median stetig gestiegen – von rund fünf im Jahr 2014 auf rund 19 im Jahr 2021. 2022 und 2023 lag der Wert jeweils bei rund 20. Im Jahr 2024 wurde mit rund 24 Preisänderungen ein Höchststand erreicht. In diesem Jahr beobachten wir einen leichten Rückgang auf rund 23.

Seit Einführung der MTS-K hat sich die Zahl der Preisänderungen pro Tag also zwar spürbar erhöht, sie ist aber seit gut fünf Jahren weitgehend stabil und zeigt einen leichten Rückwärtstrend. 23 Preisänderungen pro Tag bedeuten – ohne die Öffnungszeiten der jeweiligen Tankstellen zu berücksichtigen – im Durchschnitt weniger als eine Anpassung pro Stunde. Der Markt ist also längst nicht so volatil, wie manchmal behauptet wird. Es handelt sich um statistisch nachvollziehbare, normale Wettbewerbsschwankungen – nicht um Preiswillkür. Das Auf und Ab der Preise ist kein Chaos, sondern Ausdruck eines aktiven Wettbewerbs. Es ist aber nicht darauf zurückzuführen, dass Verbraucher bewusst in die Irre geführt werden sollen.

Kann das österreichische Modell ein Vorbild für Deutschland sein? In Österreich dürfen Tankstellen ihre Preise nur einmal täglich um 12 Uhr mittags erhöhen. Könnte dieses Modell den deutschen Markt stabilisieren?
Steffen Bock macht deutlich: „Nein, und das hat drei Gründe. Erstens: Die Ausgangsbedingungen sind ganz andere. In Österreich sind die Kraftstoffpreise vor allem deshalb niedriger, weil die Steuern geringer sind. Netto, also ohne Steuern, ist der Sprit dort sogar teurer als bei uns – die Mineralölkonzerne setzen also pro Liter mehr um. Das zeigt: Nicht die Regelung selbst sorgt für die niedrigeren Preise, sondern die geringere steuerliche Belastung. Übertragen auf Deutschland würde das österreichische Modell also nicht zu einer finanziellen Entlastung der Verbraucherinnen und Verbraucher führen, sondern zu höheren Margen für die Mineralölkonzerne und zu höheren Preisen für die Autofahrerinnen und Autofahrer.

Zweitens würden wir mit einem System wie in Österreich einen trügerisch ruhigen Markt schaffen. Zwar wäre täglich nur eine Preiserhöhung möglich, jedoch wären beliebig viele Preissenkungen erlaubt. Das könnte theoretisch sogar zu mehr Änderungen als heute führen. Diese hätten dann jedoch weniger mit Wettbewerb als mit taktischer Marktpflege zu tun. Damit würde das Ziel, die Anzahl der Preisänderungen zu reduzieren, also eventuell nicht erreicht. Es sei denn, es würde auch noch geregelt werden, wie oft Tankstellen die Preise nach unten anpassen dürfen.

Drittens dürften kurz vor Mittag, also dem nächstmöglichen Zeitpunkt für die nächste Erhöhung, die niedrigsten Preise erreicht werden. Zu dieser Zeit müssen jedoch viele Menschen arbeiten und können daher nicht spontan tanken fahren. Heute gibt es durch das Auf und Ab hingegen immer wieder Zeitfenster, in denen das Tanken vergleichsweise günstig ist.“

Das Bundeskartellamt kritisiert immer wieder den sogenannten „Rakete-und-Feder-Effekt“. Das bedeutet: Steigen die Rohölpreise, steigen die Preise an den Zapfsäulen schnell und stark wie eine Rakete. Fallen die Ölpreise jedoch, fallen die Kraftstoffpreise eher langsam wie eine Feder. Preissenkungen werden also zögerlicher an die Verbraucher weitergegeben. Welche Wirkung hätte die Tankpreisbremse darauf?
S. Bock: „Richtig, der „Rakete-und-Feder-Effekt“ beschreibt Reaktionen auf veränderte Rahmenbedingungen – etwa wenn der Ölpreis steigt oder fällt. Er hat also nur indirekt mit dem täglichen Auf und Ab des Wettbewerbs zu tun. Aber: Eine starre Preisstruktur mit nur einer erlaubten Erhöhung am Tag könnte diesen Effekt tatsächlich sogar verstärken. Wenn die Preise auf hohem Niveau fixiert sind und der Anreiz zu Senkungen fehlt, fällt die Feder noch träger. Das würde die Reaktionsfähigkeit des Marktes schwächen – und am Ende würden die Verbraucher den Preis dafür zahlen.“

Könnte eine Preisbremse das Aus für Vergleichs-Apps bedeuten? Würde eine solche neue Regelung Apps wie Clever Tanken überflüssig machen?
S. Bock: „Wenn der Wettbewerb zum Stillstand kommt, ist weniger Orientierung nötig. Das wäre jedoch kein Fortschritt, sondern ein Rückschritt. Preisvergleichs-Apps sind heute ein Werkzeug, um Transparenz für Verbraucherinnen und Verbraucher herzustellen. Zudem sind sie ein Anreiz für Tankstellen, im Wettbewerb zu bleiben. Dazu bieten Apps beispielsweise auch umfangreiche Preiskurven und Statistiken an, sodass es Autofahrerinnen und Autofahrern leichtfällt, das Verhalten der eigenen Haustankstellen einzuschätzen und ihr Tankverhalten entsprechend anzupassen.

Angesichts der heutigen Marktlage teile ich das Argument der „fehlenden Transparenz“ und der „Irreführung der Verbraucher“ durch die vielen Änderungen übrigens ausdrücklich nicht. Denn Vergleichs-Apps sorgen für ein hohes Maß an Transparenz. In einem reglementierten Markt mit starren Preisgrenzen könnten die Apps aber eine kontraproduktive Wirkung haben. Denn die Daten könnten dann eher den Anbietern helfen, sich gegenseitig zu beobachten, statt die Kundinnen und Kunden beim Sparen zu unterstützen. Die Transparenz würde dann nicht mehr nach außen zu den Kunden, sondern nach innen wirken – zum Vorteil der Konzerne.“

S. Bock: „Die Preisbremse mag politisch populär klingen, ökonomisch ist sie jedoch eine riskante Illusion. Sie dämpft zwar die Marktbewegungen, nicht aber die Kosten. Statt den Markt künstlich zu regulieren, sollte die Politik den Wettbewerb stärken und die Verbraucher befähigen, ihn aktiv zu nutzen – nur so lassen sich faire Preise und Marktmechanismen langfristig sichern.“

Beitrag teilen:

Neueste Artikel

Daten + Statistiken, Verbände

RWI/ISL-Containerumschlag-Index: China stabilisiert den Welthandel

Digitalisierung & IT, Unternehmen, Wärme

Wie WOLF die Wärmewende aktiv digital mitgestaltet

E-Mobilität, Nachhaltigkeit, Unternehmen

ENGIE Deutschland und PORT OF KIEL: Projekt zur nachhaltigen Mobilität im Schwerlastverkehr

Allgemein, Digitalisierung & IT

Allensbach-Studie: Kartenzahlung erstmals beliebter als Bargeld