70 Jahre Raffinerie Lingen: Aufbruch in eine neue Ära – BP plant integriertes Energiezentrum bis 2030

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Raffinerien, Zeitgeschehen
Die BP-Raffinerie Lingen begeht ihr 70 jähriges Bestehen.
Foto: BP Europa SE

Die BP Raffinerie Lingen spielt seit dem Start der Produktion in 1953 eine zentrale Rolle in der deutschen Industriegeschichte: Mit der Bereitstellung von Kraftstoffen, Heizöl und wichtigen chemischen Zwischenprodukten ist sie eng mit dem deutschen Energiesystem verbunden. Im Rahmen des 70-jährigen Jubiläums der Raffinerie stellt die BP Europa SE, Bochum, ihre Pläne für die Umgestaltung des Standorts vor. Bis zum Ende des Jahrzehnts will das Unternehmen die konventionelle Raffinerie in ein integriertes Energiezentrum entwickeln – eine Produktionsstätte, die den sich ändernden Energiebedarf mit einer Vielzahl von zunehmend emissionsärmeren Energielösungen deckt. In Lingen will sich die BP insbesondere auf die Produktion von Biokraftstoffen und „grünem“ Wasserstoff konzentrieren. Abhängig von den künftigen Marktentwicklungen und möglichen Skalierungsoptionen plant die BP in Lingen dafür Investitionen in Höhe eines mittleren bis hohen dreistelligen Millionenbetrages.

Nach Aussage von Patrick Wendeler, Chief Executive Officer der BP Europa SE, kann die BP-Raffinerie Lingen auf eine lange Geschichte zurückblicken, in der sie maßgeblich zum Wohlstand und zur wirtschaftlichen Stabilität Niedersachsens und Deutschlands beigetragen hat. Dies hat sie aus Sicht von P. Wendeler erreicht, indem sie sich immer wieder neu erfunden hat, um sich an das veränderte Marktumfeld anzupassen. Der geplante Umbau von einer konventionellen Raffinerie in ein integriertes Energiezentrum ist der nächste Schritt auf diesem Weg. Damit werden die Weichen für die Zukunft des Standortes gestellt und seine Rolle im Wandel der BP zu einem integrierten Energieunternehmen gestärkt.

Die Raffinerie in Lingen ist für Olaf Lies, Niedersächsischer Minister für Wirtschaft, Verkehr, Bau und Digitalisierung, seit sieben Jahrzehnten Wirtschaftsmotor für Niedersachsen und zugleich Garant für die Energieversorgung des Landes. Mit der geplanten Transformation in ein integriertes Energiezentrum stellt das Unternehmen jetzt frühzeitig die Weichen für die Zukunft der Raffinerie – und bekennt sich zum Standort Lingen. Das ist ein großer Erfolg für Niedersachsen, der die Attraktivität für Investitionen in die Energie und Mobilität von morgen unterstreicht.

Die BP hat bereits den Grundstein für die Umwandlung der Raffinerie gelegt und erste Projektmeilensteine erreicht: Seit Februar 2022 produziert der Standort als erste industrielle Produktionsstätte in Deutschland nachhaltigen Flugkraftstoff aus gebrauchtem Speiseöl im sogenannten „Co-Processing“-Verfahren, bei dem die biogene Komponente gemeinsam mit Rohöl in den Anlagen verarbeitet wird. Diese alternativen Flugkraftstoffe sind als sogenannte Drop-In-Kraftstoffe kompatibel mit der bestehenden Flugzeugflotte und daher austauschbar mit konventionellem Kerosin. Mit dem im September dieses Jahres geplanten Start eines 7-Tage-Versuchs zum Einsatz eines weiteren biogenen Einsatzstoffes im Raffinerieprozess, dem Öl der Carinata-Pflanze, wird die BP einen nächsten wichtigen Meilenstein erreichen. Die Non-Food-Pflanze erhöht die Verfügbarkeit von nachhaltigeren Rohstoffen für die biogene Verarbeitung erheblich, was sowohl für Deutschland als auch für die EU von strategischer Bedeutung ist.

Diese Projekte dienen als Ausgangspunkt für die BP, um ihre Biokraftstoffproduktion vor Ort schrittweise auszubauen. Dafür sollen die Anlagen der Raffinerie nach und nach so angepasst werden, dass sie einen höheren Anteil an alternativen Rohstoffen im „Co-Processing“-Verfahren mitverarbeiten können. Dies wird Deutschland und andere europäische Länder dabei unterstützen, die steigende Mindestbeimischungsquote an SAF (Sustainable Aviation Fuel, nachhaltiger Flugkraftstoff) der EU von bis zu 70 % bis 2050 zu erreichen. Mit der steigenden Verarbeitung von Biokomponenten wird der Standort auch seine Produktion von HVO (Hydrated Vegetable Oil, hydrierte Pflanzenöle) und Bio-Naphtha erhöhen. HVO – auch bekannt als erneuerbarer Diesel – kann als emissionsärmerer Ersatz für herkömmlichen Diesel in der bestehenden Infrastruktur verwendet werden. Bio-Naphtha, ein Nebenprodukt des Co-Processing-Verfahrens, kann fossiles Naphtha als wichtiges Ausgangsmaterial für die Herstellung emissionsärmerer Kraftstoffe und chemischer Zwischenprodukte ersetzen.

Raffinerien sind Teil eines komplexen Energiesystems. Die Umgestaltung der Raffinerie erfordert daher nicht nur eine Anpassung der Anlagen vor Ort, sondern auch der Energiequellen. In Zukunft soll der „graue“ Wasserstoff, der derzeit für verschiedene industrielle Prozesse vor Ort verwendet wird, schrittweise durch „grünen“ Wasserstoff ersetzt werden.

Zu diesem Zweck hat die BP bereits erste Projekte in Deutschland auf den Weg gebracht. Mit dem Projekt „Lingen Green Hydrogen“ will das Unternehmen am Standort Lingen einen 100-MW-Elektrolyseur installieren, der später auf mehr als 500 MW aufgestockt werden kann, um mehrere Tonnen „grünen“ Wasserstoff pro Stunde zu produzieren. Er kann dazu beitragen, den für die industriellen Prozesse am Standort benötigten „grünen“ Wasserstoff zu liefern und damit die CO2-Emissionen erheblich zu reduzieren. Darüber hinaus soll der „grüne“ Wasserstoff auch Kunden in ganz Europa zur Verfügung gestellt werden. Das Projekt befindet sich bereits in einem fortgeschrittenen Planungsstadium. Wenn die IPCEI-Förderung in diesem Jahr von der Europäischen Kommission genehmigt wird, kann der Elektrolyseur Anfang 2026 in Betrieb genommen werden. Der benötigte Strom aus erneuerbaren Energien könnte perspektivisch auch aus den Offshore-Windprojekten der BP stammen. Im Juli dieses Jahres hat das Unternehmen den Zuschlag für zwei Offshore-Windparks in der deutschen Nordsee erhalten. Die BP prüft darüber hinaus weitere Wasserstoffprojekte, darunter ein potenzielles Importprojekt in Wilhelmshaven.

Durch die Anpassung der Produktion wird der Standort Lingen in der Lage sein, seine Scope 1 Emissionen um bis zu 60 % zu reduzieren. Neben den genannten emissionsärmeren Lösungen wird Lingen auch weiter konventionelle Brennstoffe, Energie und Industrieprodukte zur Verfügung stellen, um die Versorgungssicherheit und eine geordnete Energiewende zu gewährleisten.

Laut Ulrich Grammann, Leiter der Lingener Raffinerie, bietet der Standort in Lingen ideale Voraussetzungen für den Wandel von einer konventionellen Raffinerie hin zu einem integrierten Energiezentrum. Es kann auf der bestehenden Infrastruktur aufgebaut werden und es wurden mit ersten Pilotprojekten wie der Produktion von nachhaltigem Flugkraftstoff bereits wertvolle Erfahrungen gesammelt. Trotz der Herausforderungen durch das volatile Marktumfeld kann Lingen aus Sicht von U. Grammann damit als Blaupause für die Transformation der energieintensiven Industrie in Deutschland dienen.

Als integriertes Energiezentrum wird der Standort auch weiter eine wichtige Rolle im globalen Raffinerienetzwerk der BP und bei der Umstellung auf ein integriertes Energie-
unternehmen mit Netto-Null-Emissionen bis 2050 spielen. Insbesondere wird er das Ziel des Unternehmens unterstützen, bis 2030 täglich 100.000 b Biokraftstoffe zu produzieren.

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