Der Zukunfts-Check Tankstelle ist das Ergebnis einer breit angelegten Studie, die die enormen transformativen Prozesse erfasst, denen sich der Tankstellenmarkt aktuell gegenübergestellt sieht. Nina London, Partnerin Mobility Solutions, und ihr Team von der Management- und Technologieberatung BearingPoint GmbH, Düsseldorf, wollen mit den Studien-Ergebnissen Orientierung bieten und konnten klare Handlungsmöglichkeiten für alle Beteiligten identifizieren.
Im Interview mit Chefredakteur Daniel Grübner erklärt N. London welchen Herausforderungen sich die Branche stellen muss, wer neu in den Markt eintritt, welchen Einfluss die Elektromobilität auf das Geschäft der Zukunft ausübt und welche Chancen sich ergeben.
Frau London, bevor wir über die Ergebnisse Ihrer Studie sprechen – stellen Sie uns bitte kurz Ihr Team und den Hintergrund der Studie vor.
Nina London: Sehr gerne. Wir von BearingPoint haben uns intensiv mit der Zukunft der Tankstelle beschäftigt. Gemeinsam mit Kolleginnen und Kollegen aus unterschiedlichen Fachbereichen haben wir die Markt- und Kundenperspektive zusammengeführt. Basis sind unter anderem unsere Befragung von über 1.000 Konsumenten, sowie Experteninterviews mit Branchenvertretern. Uns war wichtig, diese Transformation nicht aus einer einzelnen Brille zu betrachten, sondern möglichst breit: von den Trends im Energiemarkt über die Kundenerwartungen bis hin zu Geschäftsmodellen und regulatorischen Rahmenbedingungen. Daraus ist eine Studie entstanden, die Orientierung gibt und Handlungsmöglichkeiten aufzeigt.
Warum haben Sie sich gerade jetzt intensiv mit der Zukunft der Tankstelle beschäftigt?
Der Tankstellenmarkt steht vor einem tiefgreifenden Wandel. Klassische Frequenzbringer wie Kraftstoff und Tabak verlieren an Bedeutung, während immer mehr Mineralölgesellschaften Standorte abgeben. Gleichzeitig verlangt die Transformation zu neuen Antriebsformen hohe Investitionen – ohne dass die Refinanzierung immer klar ist. Mit unserer Studie wollten wir Orientierung geben: Welche Trends bestimmen den Markt, welche Szenarien sind realistisch – und wie können Betreiber ihre Profitabilität sichern? Klar ist: Wir sprechen über einen schrumpfenden Markt – weniger Kraftstoffabsatz, zunehmende Regulierung und wachsender Wettbewerb erhöhen den Druck. Die Frage lautet daher nicht, ob sich Tankstellen verändern müssen, sondern wie schnell. Die Ergebnisse zeigen: Tankstellen bleiben relevant, aber nur, wenn sie sich in neue Rollen hinein entwickeln.
Wie stark verändert die Energie- und Antriebswende das Geschäftsmodell Tankstelle?
Die Elektromobilität ist der größte Gamechanger. Laden bedeutet (heute noch) längere Aufenthaltsdauer – und das eröffnet Chancen für Shop, Gastronomie und Services. Gleichzeitig stellt sich die Frage: Wie bekommt man den Kunden überhaupt in den Shop, wenn der Zahlvorgang direkt an der Ladesäule passiert? Oder muss der Shop künftig stärker zum Kunden kommen?
Im ländlichen Raum kann die Frequenz sinken, weil viele Kunden zu Hause laden. An Autobahnstandorten hingegen wird Schnellladen zur Grundbedingung – verbunden mit einer entsprechend hohen Aufenthaltsqualität.
Den anfänglich sehr optimistischen Hochlaufzahlen ist inzwischen die Realität gewichen – und auch deshalb gehen wir mittelfristig von einer Phase der Antriebsvielfalt aus. Elektromobilität wird dominieren, aber HVO, E-Fuels, möglicherweise auch Wasserstoff – und nicht zuletzt klassische Verbrennungsmotoren – werden noch über viele Jahre eine Rolle spielen. Für Betreiber heißt das: Standortstrategien müssen differenziert und Investitionen gezielt ausgerichtet werden.
Welche Rolle spielen Shop und Convenience für die Zukunft der Tankstelle?
Sie sind und bleiben ein zentrales Standbein – und werden künftig sogar noch wichtiger. Kaffee, Food und Convenience
sichern Frequenz und Margen, gerade wenn der Kraftstoffanteil weiter zurückgeht. Unsere Kundenbefragung zeigt: Tankstellenkunden sind extrem pragmatisch. Standort, Preis und Öffnungszeiten entscheiden –
nicht die Marke. Drei von vier Besuchern verzichten auf den Shop, weil sie die Preise als zu hoch empfinden. Gleichzeitig lassen sich über 60 Prozent durch Loyalty-Programme aktiv beeinflussen.
Doch Tankstellen stehen nicht im luftleeren Raum: Neue Wettbewerber mit starker Retail- und Convenience-Kompetenz –
wie zuletzt Circle K in Deutschland – sowie Charge Point Operator in Verbindung mit Smart Stores oder Schnelllieferdienste drängen in den Markt. Besonders herausfordernd: Während wir davon ausgehen, dass die Zahl der Tankstellenstandorte insgesamt schrumpfen wird, wächst der Wettbewerb – und das erhöht den Druck, klare Food- und Servicekonzepte zu entwickeln.
Zukunftsmodelle werden oft in Partnerschaften entstehen – mit Energieversorgern, Food-Brands, Lieferdiensten oder auch Kommunen. Die Botschaft ist klar: Wer Convenience professionell aufstellt – mit Partnerschaften, fairer Preisgestaltung, Digitalisierung und einem durchdachten Serviceangebot – sichert die Profitabilität seiner Station.
Welche Standortlogik wird künftig entscheidend sein?
Die Anforderungen unterscheiden sich deutlich: In der Stadt zählen schnelle Stopps, attraktive Preise, Nähe und verlässliche Öffnungszeiten. Auf dem Land übernimmt die Tankstelle häufig die Rolle als Grundversorger und sozialer Treffpunkt –
kurz- bis mittelfristig kann die Elektromobilität hier jedoch zu sinkender Frequenz führen, weil viele Kunden zu Hause laden. An Autobahnen wiederum ist Schnellladen die Grundbedingung, ergänzt um Aufenthaltsqualität und Gastronomie.
Klar ist: Ein „One fits all“-Modell gibt es nicht – Betreiber brauchen eine klare, differenzierte Standortstrategie.
Wie verändert sich die Kundenerwartung?
Kunden sind anspruchsvoller geworden. Neben Preis und Standort gewinnen neue Kriterien an Gewicht: Frische, gesunde To-go-Optionen und digitale Services. Auch Themen wie Regionalität, Nachhaltigkeit oder Bio spielen eine zunehmend wichtige Rolle – vor allem in der Außendarstellung und für das Image einer Marke. In der tatsächlichen Kaufentscheidung sind sie jedoch oft nachrangig gegenüber Preis, Schnelligkeit und Bequemlichkeit. Klar ist: Kunden erwarten einfache, digitale Prozesse – Mobile Payment, nahtlose Abwicklung und personalisierte Angebote. Digitalisierung ist damit nicht mehr nur ein Effizienzthema, sondern auch ein Umsatz- und Loyalitätstreiber.
Welche Rahmenbedingungen sind notwendig, damit Tankstellen die Transformation bewältigen können?
Unsere Experteninterviews machen deutlich: Ohne verlässliche Rahmenbedingungen droht ein Investitionsstau. Betreiber brauchen Planungssicherheit, klare Regeln für alternative Kraftstoffe, einen beschleunigten Netzausbau und faire Strompreise, die den Hochlauf der Elektromobilität unterstützen. Ohne stabile Regulierung wird es schwer, die hohen Investitionen zu tragen – und das wäre fatal für die Versorgungssicherheit.
Welchen Rat geben Sie Betreibern und Partnern, die ihre Tankstelle zukunftssicher machen wollen?
Warten Sie nicht ab, sondern gestalten Sie aktiv. Die Transformation ist komplex – Antriebsvielfalt, Kostendruck, neue Wettbewerber –, aber sie eröffnet auch Chancen. Entscheidend ist, die eigene Standortstrategie zu schärfen, in neue Energielösungen zu investieren und das Shop- und Servicegeschäft professionell aufzustellen.
Dabei unterstützen wir bei BearingPoint mit unserem Zukunfts-Check Tankstelle, der auf das gesamte Ökosystem rund um die Tankstelle zugeschnitten ist – von Tankstellenbetreibern über Retailer bis hin zu Service- und Technologieanbietern. Wir analysieren individuell die Stärken und Herausforderungen Ihrer Standorte und entwickeln darauf abgestimmte, konkrete Handlungsoptionen.
Sprechen Sie uns gerne an – Sie erreichen mich jederzeit direkt oder treffen mein Team und mich am 16./17. September 2025 beim Zukunftsforum Tankstelle der UNITI in Berlin, um mögliche gemeinsame Schritte zu besprechen.
Die Tankstelle bleibt ein zentrales Element der Mobilitätsinfrastruktur – aber gerade in einem schrumpfenden Markt entscheidet aktives Gestalten über Zukunft oder Rückzug. Wer heute gestaltet, ist morgen Gewinner.
Frau London, vielen Dank für das Interview.
Ihr direkter Kontakt zu Nina London:
+49 211 17143 6449
nina.london@bearingpoint.com