Die chemisch-pharmazeutische Industrie hat die schnelle Talfahrt der vergangenen Jahre im ersten Halbjahr 2025 gestoppt – trotz des geopolitischen und konjunkturellen Gegenwinds. Die wirtschaftliche Lage bleibt dennoch herausfordernd. Die Unternehmen rechnen nach Angaben des VCI Verband der Chemischen Industrie e. V., Frankfurt, erst im kommenden Jahr mit einem Aufschwung.
Die Produktion der Branche lag im Vorjahresvergleich leicht im Minus. Der genaue Blick zeigt: Pharma schreitet voran (+ 2 %), die Chemie (- 3 %) hinkt deutlich hinterher. Auch beim Umsatz liegt der Pharmabereich vorn (+ 5 %), während die Chemiesparte schwächelt (- 2 %). Zusammengefasst weist der Branchenumsatz im ersten Halbjahr ein kleines Minus (- 0,5 %) auf. Die Beschäftigtenzahlen sind bislang stabil. Problematisch: Eine signifikante Zahl von Unternehmen hat bereits Anlagenschließungen und personelle Einschnitte angekündigt.
VCI-Präsident Markus Steilemann kommentiert die Lage: „Die Lage bleibt angespannt. Unsere Branche produzierte im ersten Halbjahr rund 15 % weniger als im Vorkrisenjahr 2018. Auch in anderen bedeutenden Wirtschaftszweigen sehen wir zweistellige Rückgänge.“ Für 2025 zeichnet sich seiner Aussage nach in dieser Industrie keine Trendwende ab.
Ein großes Problem der chemisch-pharmazeutischen Industrie bleibt der Auftragsmangel: Rund 40 % der VCI-Mitgliedsunternehmen klagen laut einer aktuellen Verbandsumfrage darüber. Die Auslastung der Produktionsanlagen liegt bei 80 % und damit unter der Rentabilitätsschwelle – und das bereits im dritten Jahr infolge. Wettbewerbsfähig zu produzieren, wird immer schwieriger. Das spiegelt auch die Handelsbilanz der Branche: Chemieexporte liegen unter Vorjahr, Importe sind dagegen um 2 % gestiegen.
M. Steilemann fordert daher, jetzt im Schulterschluss schnell zu handeln und mutig voranzugehen. Der Standort Deutschland ist laut VCI-Präsident im internationalen Vergleich außerdem zu teuer. Das bestätigen die VCI-Mitgliedsunternehmen, die dafür überbordende Bürokratie, zu hohe Steuern, nicht wettbewerbsfähige Energiepreise, immense Arbeitskosten und hohe Rohstoffpreise verantwortlich machen. Dementsprechend schieben die Unternehmen mehrheitlich auch dringend nötige Investitionen auf.
Mittelfristig ist keine Besserung in Sicht. Deutschland ringt mit der dritten Rezession in Folge. Weder die Wirtschaftsinstitute noch die Mehrheit der VCI-Mitgliedsunternehmen erwarten in der zweiten Jahreshälfte 2025 einen konjunkturellen Aufschwung. Produktionsstilllegungen sowie die Verlagerung von Investitionen ins Ausland sind bereits Realität. Außerdem steigt die Zahl der Insolvenzen in der Branche.
Für Zuversicht sorgt, dass zwei von drei Unternehmen aus der chemisch-pharmazeutischen Industrie bereit sind, wieder zu investieren, wenn sich die Standortbedingungen in Deutschland und Europa bessern. „Die Industrie ist bereit, die Politik muss liefern“, fasst M. Steilemann zusammen.
Ein Umdenken ist in Berlin und Brüssel zu spüren. Wettbewerbsfähigkeit, Resilienz und Bürokratieabbau stehen wieder oben auf der politischen Agenda. Die junge Regierungskoalition hat dazu mit ihrem Sofortprogramm einen ersten wichtigen Schritt gemacht, der die Konjunkturhemmnisse anpackt. Im Koalitionsvertrag hat sich die Bundesregierung das Ziel gesetzt, Deutschland zum führenden Standort für Chemie, Pharma und Biotechnologie zu machen. Das begrüßt M. Steilemann: „Arbeiten wir zusammen an einer kraftvollen Chemieagenda. Einem Masterplan, der zur Blaupause für eine industriepolitische Gesamtstrategie werden könnte.“
Aus VCI-Sicht sind dafür fünf Handlungsfelder entscheidend:
- Ein konsequenter Bürokratieabbau: Laut ifo – Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung an der Universität München e. V. verliert die deutsche Volkswirtschaft jährlich 146 Mrd. Euro durch ausufernde Bürokratie. Für 88 % der VCI-Unternehmen ist der Bürokratiedschungel das mit Abstand größte Standortproblem in Deutschland – vor Steuern oder beispielsweise dem Fachkräftemangel.
- Die Modernisierung der Schuldenbremse und Vorfahrt für Investitionen: Um eine fiskale Nachhaltigkeitslücke zu vermeiden, dürfen öffentliche Ausgaben nicht über das Maß der Generationengerechtigkeit hinausgehen. Zukunftsinvestitionen müssen Vorrang vor Gegenwartskonsum haben. Die Wirtschaftswende kann nur gelingen, wenn das Sondervermögen in nachhaltiges Wachstum überführt wird.
- Die Energiewende erfolgreich gestalten: Sie darf nicht am eigenen Anspruch scheitern. Der angekündigte Monitoringbericht des BMWE Bundesministerium für Wirtschaft und Energie, Berlin, muss die Basis für eine Kursbestimmung sein. Energiepolitik muss Versorgungssicherheit, Klimaschutz und Bezahlbarkeit wieder ins Gleichgewicht bringen. Im Zentrum muss die Optimierung der Stromgesamtkosten stehen.
- Resilienz und Innovationen stärken: Den Fokus auf industriepolitische Förderung von Zukunftstechnologien richten. Resilienz entsteht durch Diversifizierung: Bausteine sind das Abkommen zwischen der EU und den Mercosur-Staaten sowie eine Grundsatzvereinbarung mit den USA. Zugleich braucht es Schutzmechanismen gegen unfairen Wettbewerb.
- Die Chancen der EU nutzen: Eine Kapitalmarkt- und Bankenunion könnte wirtschaftliche Kräfte bündeln, Investitionen mobilisieren und Europa als globalen Finanzplatz positionieren. Die Ausgangslage stimmt: 450 Mio. EU-Bürger und mehr als 15 Bio. Euro an jährlicher Wirtschaftsleistung.





