Geschäftszahlen 2023 vorgestellt: Westfalen-Gruppe setzt auf Europa

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Unternehmen
Freuen sich auf die langfristige Wasserstoff-Kooperation: Westfalen-CEO Dr. Thomas Perkmann (links) und Matthieu Jehl, CEO ArcelorMittal France.
Foto: Westfalen AG

Angesichts eines schwachen Marktumfeldes und schwieriger Rahmenbedingungen auf dem deutschen Kernmarkt verstärkt der Industriegase-Produzent und Kraftstoffe- und Energieanbieter die Westfalen AG, Münster, ihre Aktivitäten in den europäischen Nachbarländern. Um den Hochlauf von „grünem“ Wasserstoff im eigenen Portfolio zu beschleunigen, wird die Unternehmensgruppe ihren ersten Elektrolyseur jetzt in Frankreich realisieren.

Im Nordosten Frankreichs wird der erste Elektrolyseur der Westfalen gebaut. Die Produktionsanlage soll ab Januar 2026 das Werk Florange des internationalen Stahlproduzenten ArcelorMittal S. A., Luxemburg, mit umweltfreundlichem Wasserstoff versorgen. Eine entsprechende Kooperation ist am 3. Juni 2024 von Matthieu Jehl, Chief Executive Officer der ArcelorMittal France, Saint-Denis, und Dr. Thomas Perkmann, Vorstandsvorsitzender der Westfalen-Gruppe, am ArcelorMittal-Standort in Florange vereinbart worden.

Bereits seit 2010 versorgt die französische Tochtergesellschaft Westfalen France, Rosselange, das Stahlwerk der ArcelorMittal mit Wasserstoff, der bislang auf Basis von Erdgas gewonnen wird. Diese Lieferungen werden ab 2026 mit der Inbetriebnahme des neuen Elektrolyseurs dann umweltfreundlich ersetzt. Für die direkte Versorgung wird der Elektrolyseur auf dem Gelände des Stahlwerks errichtet. Der jetzt neu geschlossene Liefervertrag zwischen den Unternehmen läuft bis in die 2040er-Jahre.

Laut T. Perkmann ist die Vereinbarung mit ArcelorMittal ein großer Erfolg für seine Unternehmensgruppe. Das Projekt wird nach seinen Worten nicht nur die gute Partnerschaft mit der ArcelorMittal fördern, die Umsetzung wird der Westfalen auch weitere Türen im Wasserstoff-Markt öffnen und ihre Position in der Industrie, nicht nur in Frankreich, weiter stärken. Frankreich ist derzeit ein zentraler Auslandsmarkt des Familienunternehmens. Insgesamt will die Westfalen einen zweistelligen Millionenbetrag in das Projekt investieren.

Neben der Wasserstoff-Produktion, die künftig mit erneuerbarer Energie versorgt wird, beabsichtigt die Westfalen in der Nähe auch eine neue Wasserstoff-Abfüllstation für die Trailer- und Zylinderabfüllung zu errichten. Die Kapazität des Elektrolyseurs ist so angelegt, dass neben der Versorgung des Stahlwerks auch weitere Mengen für den Markt bereitstehen, erklärt Westfalen France Geschäftsführer Benjamin Bugeat.

Auch im Bereich Industriegase steigt das Engagement außerhalb des deutschen Marktes – so wird die Westfalen unter anderem in ein neues Abfüllwerk in Österreich investieren und die Kapazität eines Werks in der Schweiz nahezu verdoppeln. Rückenwind für die Investitionen gibt das abgelaufene Geschäftsjahr 2023, das das Unternehmen trotz aller aktuellen Einflüsse mit dem höchsten Gewinn der Geschichte abschloss.

T. Perkmann zeigte sich sehr zufrieden mit dem abgelaufenen Geschäftsjahr bei der Präsentation der Geschäftszahlen vor einer großen Zahl von Journalisten am 1. Juli 2024 am Unternehmenssitz in Münster. Seiner Aussage nach verdeutlicht das Ergebnis, dass die Westfalen in vielen Bereichen über das richtige Geschäftsmodell verfügt. Besonders im Hinblick auf die beschlossene „grüne“ Transformation des Unternehmens und den schrittweisen Ausstieg aus fossilen Energien sowie das Hineinwachsen in neue, nachhaltige Geschäfte. Im Vorausblick auf die Westfalen-Vision 2030 wird das Geschäft mit nachhaltigen Produkten und Lösungen zunehmend wichtiger – und dies über alle Bereiche hinweg: Von strombasierter Wärme über umweltfreundliche Flaschengase und E-Mobilität bis hin zu Wasserstoff.

Rahmenbedingungen verzögern Wasserstoff-Hochlauf – Mittelstand benachteiligt
Doch die volatilen Rahmenbedingungen – insbesondere in Deutschland – spiegeln sich mittlerweile auch in der Geschäftsentwicklung wider, erklärte der Vorstandsvorsitzende. So verzögern sich beispielsweise im deutschen Kernmarkt viele Pläne für den Wasserstoff-Hochlauf, auf den das Unternehmen gesetzt hatte, oder sie lassen sich nicht mehr so umsetzen wie geplant. Das Urteil des Karlsruher Bundesverfassungsgerichts zum Klima- und Transformationsfonds KTF hat Spuren in der gesamten Branche hinterlassen. Zusagen zu Förderbescheiden galten von heute auf morgen nicht mehr. So kann man als Unternehmen schwer planen, betonte T. Perkmann.

Dagegen sieht die Westfalen, dass die europäischen Nachbarländer ihre Wasserstoff-Bemühungen deutlich beschleunigen. Dem kann sich der Energieanbieter als europäisch ausgerichtetes Unternehmen schwer entziehen, erläuterte der Westfalen-CEO die aktuellen Investitionsentscheidungen und ergänzt, dass auch der nächste Wasserstoff-Elektrolyseur des Unternehmens wahrscheinlich im Ausland entsteht. Deutschland muss aufpassen, dass es seinen Technologievorsprung und seine Wettbewerbsfähigkeit beim Wasserstoff nicht einbüßt.

Dass die Industrie für den Wasserstoff-Hochlauf bereitsteht, zeigt die Westfalen selbst – und zwar in Kooperation mit der RWE AG, Essen. Die beiden Unternehmen planen unter dem Namen two4H2 den Aufbau eines H2-Tankstellennetzes in Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen, für den ein entsprechendes Joint Venture gegründet wurde. Laut T. Perkmann verdeutlicht die Westfalen damit in Deutschland eigentlich gerne noch aktiver sein zu wollen.

Auch die Bedeutung mittelständischer Unternehmen – Hauptkunden der Unternehmensgruppe insbesondere im Industriegase-Geschäft – die ein weiterer wichtiger Treiber des Wasserstoff-Hochlaufs sind, werden von der Politik unterschätzt. Es ist zu beobachten, dass viele mittelständische Kunden an Wasserstoff interessiert sind, entweder als Produkt oder als Prozessenergie. Doch die hohen Kosten gegenüber den herkömmlichen Energieträgern rechnen sich für viele Anwendungen gerade für kleinere Unternehmen momentan noch nicht. Laut T. Perkmann braucht es irgendeine Form von staatlicher Unterstützung, um den Mittelstand auf dem Weg in die „grüne“ Transformation zu unterstützen. Der eingeschränkte finanzielle Rahmen der Politik trifft seiner Meinung nach ganz klar auch das wirtschaftliche Rückgrat der deutschen Wirtschaft.

Solide Eigenkapitalbasis ermöglicht weiteres Wachstum
Im vergangenen Jahr feierte die Westfalen ihr 100-jähriges Bestehen. Und in diesem besonderen Jahr kann sich das Unternehmen – trotz aller Einflüsse – über einen außergewöhnlichen Erfolg freuen: 2023 wurde mit einem Ergebnis vor Steuern und Zinsen (EBIT) in Höhe von 73,5 Mio. Euro das beste Ergebnis der Unternehmensgeschichte erzielt. Das Ergebnis lag damit 3,5 Mio. Euro über dem Vorjahreszeitraum, in dem bereits eine neue Bestmarke erzielt worden war. Im Geschäftsjahr 2023 realisierte die Westfalen-Gruppe insgesamt einen Umsatz von 2,25 Mrd. Euro nach 2,3 Mrd. Euro im Vorjahr.

Die gesamte Organisation, alle Kollegen, haben im vergangenen Jahr einen sehr guten Job gemacht, lobte der Chief Financial Officer der Westfalen, Jesko von Stechow, die Mitarbeitenden der Unternehmensgruppe. Die Westfalen ist in wichtigen Feldern gewachsen und habe eine gute Kostendisziplin bewiesen. Die Verbesserung des EBIT in 2023 sei trotz eines leichten Umsatzrückganges insbesondere aufgrund laufender Kosten- und Ergebnisverbesserungsprogramme gelungen. Den Rückgang des Umsatzes der Gruppe erklärte J. von Stechow vor allem mit den unsicheren konjunkturellen Aussichten, die gerade im vierten Quartal 2023 dazu geführt hatten, dass Kunden vorsichtiger agierten als in den Vorjahren.

Laut J. von Stechow kommen dazu die erneut sehr milden Wintertemperaturen, die vor allem im Bereich Energieversorgung neben einem Margenrückgang auch zu einem geringeren Absatz geführt haben. 2023 war das wärmste Jahr seit Beginn der Wetteraufzeichnungen. Aufgrund des gesunkenen Preisniveaus lag im abgelaufenen Geschäftsjahr auch der Umsatz mit Kraftstoffen des Geschäftsbereiches Mobility unter dem Niveau des Vorjahres.

Das wird die Entwicklung des Unternehmens aber nicht bremsen, betonte J. von Stechow. Die Westfalen will in den relevanten Geschäftsfeldern weiterwachsen – und peilt eine Geschäftsentwicklung auf gleichem Niveau an. Dafür wird auch weiter Geld in die Hand genommen. Die Westfalen verfügt über eine gute Eigenkapitalbasis, mit der die geplanten Investitionen weiter verfolgt werden können. Wie im Jubiläumsjahr 2023 angekündigt, will das Unternehmen in einem Zeitraum von fünf Jahren rund 0,5 Mrd. Euro in die Weiterentwicklung des Unternehmens investieren. Nur die Rahmenbedingungen für Investitionen im Kernmarkt Deutschland könnten durchaus besser sein, fügte J. von Stechow hinzu.

2023 ein ereignisreiches Jahr für Westfalen
Eine tragende Rolle in der künftigen Entwicklung der Westfalen-Gruppe werde weiter der Industriegase-Bereich spielen, betonte in diesem Zusammenhang Dr. Meike Schäffler, Produktions- und Technik-Vorständin. Mit einer Produktion von deutlich über 2 Mio. Flaschen gehört die Westfalen zu den führenden Anbietern von Flaschengasen im Mittelstand und will diese Position weiter ausbauen. Dabei setzt das Unternehmen im Gase-Geschäft zunehmend auf moderne Standorte – sowohl in Deutschland als auch im Ausland. So ist es der Westfalen in 2023 gelungen, erstmals in der Firmengeschichte zwei Werke in einem Jahr zu errichten.

Neben der Errichtung eines Abfüllwerks im französischen Arzal an der Atlantikküste sowie in Norddeutschland vor den Toren Hamburgs (Lanken,) investierte die Westfalen 2023 zur Stärkung des Gase-Geschäfts auch in die Erweiterung der eigenen Wasserstoff-Trailerflotte. Mit einer größeren Investition in ein Pilotprojekt zur Herstellung von umweltfreundlichem Zement, unterstreicht das Unternehmen außerdem seine Ambitionen, nachhaltige Industrielösungen durch den Einsatz von Sauerstoff zu ermöglichen. Auch das im vergangenen Jahr aus dem Geschäftsbereich Industriegase hervorgegangene Respiratory Homecare-Geschäft zur Sauerstoff-Versorgung von Menschen mit Atemwegserkrankungen entwickele sich mittlerweile sehr erfreulich, so M. Schäffler weiter.

Im Geschäftsbereich Mobility will die Westfalen neben dem Shop-Geschäft vor allem den Bereich alternative Antriebe ausweiten – unter anderem soll die Ladeinfrastruktur für die E-Mobilität deutlich ausgebaut werden. In diesem Jahr soll erstmals ein Ladeabsatz von mehr als 2 Mio. kWh an den Schnellladestationen der Westfalen generiert werdenen, gab M. Schäffler als Ziel für den Bereich an. Dafür sollen in diesem Jahr 32 weitere Schnelllader installiert werden. Das Unternehmen verfügt aktuell über rund 420 Ladepunkte, von denen ein wachsender Teil schnelles Laden ermöglicht. Zum Ende des vergangenen Geschäftsjahres 2023 waren es 360 Ladepunkte.

Eine positive Entwicklung verzeichnet auch das strombasierte Geschäft der neuen Wärmepumpen-Tochtergesellschaft NGC.Tec GmbH, Gladbeck, das bei der Westfalen den Bereich Energieversorgung verstärkt. Nach Aussage von M. Schäffler findet die Wärmewende nicht nur in Einfamilienhäusern statt, sondern geht über Mehrfamilienhäuser bis hin zu Industriebauten. Die NGC.Tec verfügt über die nötige Erfahrung und Expertise, um Heizsysteme auch als Quartierslösungen zu projektieren. Davon will die Westfalen weiter profitieren.

Die Westfalen blickt positiv in die Zukunft und möchte weiter eine Vorreiterrolle in der Transformation des Mittelstands einnehmen. Dabei ist aus Sicht der Vorstände besonders politische und regulatorische Stabilität wichtig, um diese Ziele zu erreichen.

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