Am 29. November 2023 hatte der UTV Unabhängiger Tanklagerverband e. V., Berlin, bei seiner Mitgliederversammlung in Hamburg einen ersten Zwischenstand zur Studie „Resilienz im klimaneutralen Energiesystem der Zukunft“ präsentiert. Die Studie im Auftrag des UTV wurde am EWI Energiewirtschaftliches Institut an der Universität zu Köln gGmbH unter Leitung von Philipp Artur Kienscherf erstellt. Auf Basis einer Status-Quo-Betrachtung zu den in Deutschland gespeicherten Energiemengen, gibt die Studie Implikationen für die künftige Resilienz des Systems.
Am 21. Februar 2024 wird der UTV die abschließenden Ergebnisse der Studie im Rahmen der vom Dachverband MEW Mittelständische Energiewirtschaft Deutschland e. V., Berlin, etablierten Veranstaltung „Talking Energy“ im Beisein von Vertretern des EWI sowie des UTV vorstellen und diskutieren. Teilnehmer der sich anschließenden Panel-Diskussion werden außerdem Judith Skudelny (umweltpolitische Sprecherin der FDP-Bundestagsfraktion), Dr. Philipp Steinberg (Leiter der Abteilung Wirtschaftssicherung und Energiesicherheit im BMWK), Philipp Heilmaier (Bereichsleiter „Zukunft der Energieversorgung“ bei der Deutsche Energie-Agentur GmbH) sowie Sebastian van der Ploeg (CEO der TanQuid GmbH & Co. KG) sein.
Anlässlich der Veröffentlichung der Studienergebnisse haben Frank Schaper, Geschäftsführer des UTV, und eot Chefredakteur Daniel Grübner ein Interview geführt.
Herr Schaper, der UTV ist die Interessenvertretung der unabhängigen Tanklagerbetreiber in Deutschland. Die aktuell 30 Ordentlichen Mitglieder vertreten den wesentlichen Teil der in Deutschland verfügbaren oberirdischen Lagerkapazität. Warum haben Sie die Studie „Resilienz im klimaneutralen Energiesystem der Zukunft“ in Auftrag gegeben?
F. Schaper: Wir beleuchten seit etwa 1,5 Jahren in unserem neu gegründeten Arbeitskreis Zukunft verschiedene Facetten der Energiewende. Neben der Diskussion, welche flüssigen Energieträger es in der Zukunft überhaupt noch geben wird, haben wir uns auch der Frage gestellt, wie es mit der Robustheit des „Energiesystems von Morgen“ im Kontext eines sich verändernden Energie-Mixes aussehen wird.
Dabei ist uns aufgefallen, dass die bisherigen Studien zur Energiewende zwar basierend auf definierten Szenarien das Energiesystem der Zukunft abbilden, die Resilienz dieses Systems jedoch bisher nicht wirklich beleuchtet worden ist. Da wir diese Lücke schließen wollten und wir gleichzeitig davon ausgegangen sind, dass der Tanklager-Sektor potenziell einen Beitrag zur Resilienz des künftigen Energiesystems leisten kann, haben wir die Studie in Auftrag gegeben.
Warum ist Ihre Wahl auf das EWI als Auftragnehmer gefallen?
F. Schaper: Wir sind eher zufällig in Kontakt mit dem wissenschaftlichen Geschäftsführer des EWI, Prof. Dr. Marc Oliver Bettzüge, gekommen. In einem überaus offenen Austausch zu Energiewende-Themen sind wir gemeinsam recht schnell darauf gestoßen, dass das Thema „Resilienz des zukünftigen Energiesystems“ aus der wissenschaftlichen Perspektive bisher recht stiefmütterlich behandelt wurde.
Das Renommee des EWI als seriöses wissenschaftliches Institut war uns bekannt – genau so einen Partner haben wir gesucht. Als das EWI dann noch bestätigte, an der Erstellung der dena-Leitstudie „Aufbruch Klimaneutralität“ (Szenario KN 100) beteiligt gewesen zu sein, erschien uns das EWI als der ideale Partner.
Wo sehen Sie Schwachstellen im aktuellen System, die im politischen Diskurs keine ausreichende Beachtung finden?
F. Schaper: Die energie- und klimapolitische Diskussion war bisher stark von der primären Zielsetzung der Erreichung der Klimaneutralität in Deutschland bis zum Jahr 2045 geprägt. Dieses ist einerseits verständlich, hat jedoch bis vor Kurzem dazu geführt, dass Parameter wie „Versorgungssicherheit“ bzw. „Resilienz des zukünftigen Energiesystems“ unzureichend in die politische Diskussion eingeflossen sind. Gerade diese Themen sollten jedoch in einem zunehmend komplexer werdenden Energiesystem ebenfalls in den Vordergrund rücken.
Ich erwarte daher von der Politik, dass im Kontext von geopolitischen Spannungen sowie einer volatilen Energieerzeugung entsprechende Maßnahmen getroffen werden, die auch künftig die Energieversorgung in Deutschland und Europa sicherstellen. Das in den 1970er Jahren ins Leben gerufene System der Krisenbevorratung auf Basis des Erdölbevorratungsgesetzes hat sich in den letzten Jahrzehnten bewährt und kann in angepasster Form auch künftig ein geeignetes Instrument zur Stärkung der Resilienz im Energiesystem sein.
Wie unterscheidet sich der Ansatz der von Ihnen in Auftrag gegebenen Studie von bereits existierenden und anerkannten Studien?
F. Schaper: Wir haben den Fokus bewusst auf das Thema „Resilienz“ im Kontext der Importabhängigkeit gelegt, welche auch das Energiesystem von Morgen beeinflussen wird. Während wir die dena-Leitstudie „Aufbruch Klimaneutralität“ – und zwar konkret das Szenario „KN 100“ als das in die Zukunft projizierte Energiesystem in Deutschland – als Basis definiert haben, haben wir uns die Frage gestellt, welche Konsequenzen es hätte, wenn wir die aktuelle Resilienz unseres heutigen Energiesystems auf das Jahr 2045 übertragen. Und diesbezüglich haben wir den Schwerpunkt auf die erforderliche Speicherkapazität gelegt. Dieses unterscheidet uns von den bisherigen Studien, in denen Energiebedarfe zwar ermittelt, das Risiko einer Importabhängigkeit und ein sich daraus ergebendes Resilienz-Niveau jedoch nicht weiter betrachtet wurden.
Wie bzw. in Abhängigkeit wovon verändern sich die Anforderungen an unser bestehendes System in der Zukunft?
F. Schaper: Unser künftiges Energiesystem wird von einem hohen Grad an Elektrifizierung geprägt sein. Die überwiegend von Windkraft- und Solaranlagen generierte Stromproduktion wird allerdings sehr schwankend sein – Stichwort „Dunkelflaute“. Da sich Elektronen bis auf Weiteres nicht beliebig speichern lassen, wird es Back-Up-Systeme geben müssen, die immer dann einspringen, wenn sie zur Stabilisierung des Systems benötigt werden. Diese Back-Up-Infrastruktur wird zunächst mit Gas und später vermutlich mit Wasserstoff als Energieträger betrieben. Eine entsprechende H2-Speicherinfrastruktur muss daher aufgebaut werden und die Frage stellt sich, in welchem Molekularzustand der Wasserstoff gespeichert wird.
Außerdem werden sich bis auf Weiteres nicht alle Sektoren elektrifizieren lassen – vornehmlich der Flugverkehr und die Seeschifffahrt. Bei diesen Anwendungen wird es unverändert der flüssige Energieträger sein, der vorgehalten und gespeichert werden muss. Auch hierzu trifft die Studie Aussagen.
Was ist nötig, damit die notwendige Transformation des Energiesystems erfolgreich und mindestens unter Beibehaltung des aktuellen Resilienzniveaus vollzogen werden kann?
F. Schaper: Zunächst einmal muss das zukünftige Resilienzniveau definiert werden. Werden wir in 20 Jahren noch einen EBV haben, der dann gegebenenfalls Energiebevorratungsverband heißt? Wie wollen wir uns national und international aufstellen, um ein widerstandsfähiges Energiesystem sicherstellen zu können? Diesbezüglich müssen wir ein Bewusstsein in Gesellschaft und Politik schaffen, dass wir auch künftig unsere Energieversorgung durch eine verhältnismäßige Bevorratung absichern sollten.
Darüber hinaus dürfte ein gesunder Energie-Mix zur Stärkung eines Systems positiv beitragen. Je breiter und technologieoffener wir hier aufgestellt sind, umso weniger angreifbar sind wir.
Welche Rolle übernehmen dabei Ihre Mitgliedsunternehmen aktuell und welche Rolle müssen sie künftig voraussichtlich übernehmen?
F. Schaper: Aktuell sind viele unserer Mitglieder Teil des deutschen und teilweise sogar des europäischen Energiebevorratungssystems. Dieser Aufgabe werden sie sich grundsätzlich auch künftig nicht entziehen, solange es betriebswirtschaftlich Sinn ergibt. Der Tanklager-Sektor wird sich darüber hinaus der sich verändernden Energieversorgung stellen müssen. Teilweise wird dieses aus jetziger Sicht durch Weiternutzung der bestehenden Infrastruktur möglich sein, teilweise wird es Investitionen in neue Infrastruktur bedeuten, die dann kompatibel mit den Energieträgern der Zukunft ist. Insgesamt erwarte ich den künftigen Produkt-Mix im Tanklager deutlich facettenreicher.
Wie wird das Tanklager der Zukunft Ihrer Meinung nach aussehen?
F. Schaper: Das Tanklager der Zukunft wird in jedem Fall weiter benötigt für die Sicherstellung der Versorgung mit flüssigen Energieträgern und Rohstoffen. Es wird darüber hinaus Produkte lagern und umschlagen, die teilweise heute noch wenig bekannt sind.
Ammoniak in seiner Rolle als Wasserstoffträger, Rohstoff für den Agrar- und Chemiesektor sowie als Brennstoff traue ich hier eine wichtige Rolle zu. Darüber hinaus ist es denkbar, dass künftig importierte flüssige Wasserstoffträger nicht nur in einem Tanklager gelagert, sondern über nachgeschaltete Anlagen auch umgewandelt werden – mit dem Ziel, den so gewonnenen Wasserstoff in das Netz einzuspeisen.