DIW: Öffentliche Investitionen sind notwendig, selbsttragend und kurbeln die Wirtschaft an

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Wirtschaft
Anteil der öffentlichen Investitionen in Deutschland am Bruttoinlandsprodukt in Prozent.
Foto: DIW Berlin

Deutschland hat in den vergangenen Jahrzehnten von seiner Substanz gelebt und notwendige Investitionen wie in die Verkehrsinfrastruktur oder die Digitalisierung verschleppt. Dies ist einer der Gründe für die aktuellen Schwierigkeiten der deutschen Wirtschaft, die nicht nur konjunktureller, sondern auch struktureller Natur sind. Investitionen würden nicht nur Defizite bei der Infrastruktur ausgleichen und damit die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands erhöhen, sondern auch die Wirtschaft wieder in Schwung bringen. Dies belegen aktuelle Berechnungen des DIW Berlin Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung e. V. auf Basis eines empirischen Modells. Öffentliche Investitionen über 100 Mrd. Euro in den kommenden vier Jahren würden das Bruttoinlandsprodukt um 1,5 % anheben als ohne dieses Investitionspaket. Zugleich würden mit einer stärkeren Wirtschaft auch die Steuereinnahmen so stark steigen, dass sich die Ausgaben recht schnell nahezu ausgleichen dürften.

Deutschland leidet unter einer anhaltend schwachen Wirtschaftsentwicklung. Nicht nur eine hartnäckige konjunkturelle Flaute belastet das Land, sondern auch strukturelle Faktoren wie demografischer Wandel, schärferer internationaler Wettbewerb und unvollständige Dekarbonisierung lasten auf der Wirtschaft. Ein weiterer wesentlicher Grund der schwachen Produktions- und Einkommensentwicklung in Deutschland dürfte der kontinuierliche Rückgang des Anteils der öffentlichen Investitionen am Bruttoinlandsprodukt (BIP) sein. Deutschland lebt seit Jahrzehnten von der Substanz. Einstürzende Brücken, marode Schulen, langsame Bürokratie und fehlende Digitalisierung sind die offensichtlichen Symptome mangelnder Investitionen in die staatliche Infrastruktur.

Der Anteil der öffentlichen Investitionen am BIP hat sich zwischen 1970 bis zur Finanzkrise ungefähr gedrittelt. Zwar ist die Quote der öffentlichen Investitionen seitdem tendenziell steigend, aber insgesamt bleibt der Anteil weiter auf niedrigem Niveau (Abbildung 1).

Mit einer Investitionsquote von 2,5 % liegt Deutschland mittlerweile international am unteren Ende der Skala (Abbildung 2). 39 OECD-Staaten investieren mehr, nur sieben OECD-Länder investieren noch weniger. Die öffentliche Investitionsquote in Deutschland entspricht etwa der von Südafrika, Portugal oder Costa Rica und liegt rund 1 %-Pkt. unter dem OECD-Durchschnitt von 3,4 %.

Öffentliche Investitionen wurden in der Vergangenheit mit dem Hinweis unterlassen, dass Deutschland sich eine Erhöhung der Investitionsquote nicht leisten kann – zu groß war und ist die Angst der Bundesregierungen vor Steuererhöhungen oder Kürzungen an anderer Stelle. Zwar gäbe es noch die Möglichkeit, Investitionen mit Schulden zu finanzieren. Dem steht aber die im Jahr 2009 beschlossene Schuldenbremse gegenüber, die für Bund und Länder enge Grenzen bei der Neuverschuldung setzt.

Das DIW Berlin analysiert die makroökonomischen Auswirkungen, die eine Erhöhung der Investitionsquote zufolge hätte. Im Szenario wird angenommen, dass die öffentlichen Investitionen in den nächsten vier Jahren um insgesamt 100 Mrd. Euro steigen. Dies entspricht einer Erhöhung der Investitionsquote um rund 0,6 %-Pkt. und damit einem Anstieg der Quote wie in den vergangenen vier Jahren. Damit würde Deutschland im internationalen Vergleich rund zehn Plätze gutmachen und von unten an den OECD-Durchschnitt aufschließen, aber immer noch darunter liegen.

Ausgabenpfad und Auswirkungen auf das BIP und die Steuereinnahmen
Die Berechnung erfolgt auf Basis eines empirischen Modells für Deutschland.In diesem Modell werden historische investive und konsumtive Staatsausgaben, Steuereinnahmen sowie deren Wechselwirkungen mit der Realwirtschaft abgebildet. Neu an dem Modell ist, wie die Art der Auswirkung von öffentlichen Investitionen geschätzt wird. Dazu wurde der genaue Zeitpunkt und die Größe der Investitionen des Bundes in den Archiven des Bundesministeriums für Finanzen, Berlin/Bonn, erfasst und ein entsprechend für die deutsche Wirtschaft einzigartiger historischer Datensatz aufgebaut. Mit diesem kann der Zusammenhang von öffentlichen Investitionen und der deutschen Volkswirtschaft geschätzt werden. Zu den staatlichen Investitionen gehören öffentliche Bauvorhaben (Wohnungs-, Hoch- und Tiefbau) und Ausgaben für Ausrüstung sowie immaterielle Güter (zum Beispiel Patente und Computerprogramme). Große Maßnahmenpakete der Vergangenheit beinhalteten Investitionen in den öffentlichen Wohnungsbau, in die Regionalentwicklung, die Wiedervereinigung und die Infrastruktur der Schulen und Universitäten.

Auf Basis dieses historischen Datensatzes unterstellt das analysierte Szenario, dass die öffentlichen Investitionen im Durchschnitt jährlich um 25 Mrd. Euro steigen (Abbildung 3). Dabei wird berücksichtigt, dass die Ausgaben aufgrund einer administrativen Anlaufphase in den ersten Quartalen etwas niedriger und dann etwas höher sein dürften. Der simulierte Ausgabenpfad berücksichtigt also den typischen Ausgabenverlauf bei öffentlichen Investitionen in Deutschland, der mit den historischen Daten geschätzt wurde. Das Investitionspaket wird implementiert, indem vier öffentliche Investitionsimpulse in den ersten vier Quartalen in das makroökonometrische Modell eingespeist werden. Die Reaktion der öffentlichen Investitionen auf den jeweiligen Impuls wird dann für jedes der 16 Quartale summiert und übereinandergelegt. Die Impulse werden so gesetzt, dass die öffentliche Investitionsquote im Durchschnitt der vier Jahre um 0,63 %-Pkt. über dem Niveau liegt, das sie sonst ohne die zusätzlichen Ausgaben hätte. Die Effekte auf das BIP werden ebenso berechnet. Der erwartete Ausgabenpfad enthält daher Schätzunsicherheit.

Eine Erhöhung der Quote der öffentlichen Investitionen um 0,63 %-Pkt. hätte zur Folge, dass die Wirtschaftsleistung daraufhin in den folgenden vier Jahren um durchschnittlich 1,5 % höher läge als ohne die Erhöhung (Abbildung 3b). Am Anfang ist der Aufschwung noch etwas geringer, da nicht alle Investitionen sofort umgesetzt werden dürften. Im zweiten und dritten Jahr sind die Effekte dann am größten. Im vierten Jahr ist das BIP immer noch signifikant höher als ohne die Ausgaben. Alles in allem steigt die Wirtschaftsleistung über den Simulationszeitraum nahezu doppelt so stark wie die Ausgaben. Für jeden Euro öffentliche Investitionen entstehen damit etwas mehr als 2 Euro Wertschöpfung.

Mit dem starken Anstieg des BIP steigt die Steuerbasis. Dadurch erhöhen sich die staatlichen Steuereinnahmen (Abbildung 3c). Über die vier Jahre decken diese fast genau die zusätzlichen Ausgaben, sodass das Paket nahezu finanzierungsneutral ist. Die Schätzergebnisse sind allerdings mit Unsicherheit verbunden.

Warum öffentliche Investitionen das BIP erhöhen
Für die positiven Auswirkungen der staatlichen Investitionen gibt es verschiedene Gründe. Öffentliche Investitionen erhöhen direkt die gesamtwirtschaftliche Nachfrage und das Einkommen. So steigern beispielsweise öffentliche Investitionen in Straßenbau die Auftragslage bei Tiefbauunternehmen und damit zum Teil die gesamtwirtschaftlichen Einkommen der Beschäftigten und somit den privaten Konsum. Dieser Effekt ist in dem hier aufgezeigten Modell abgebildet und umfasst die temporären Wirkungen von öffentlichen Investitionen auf die Wirtschaft. Öffentliche Investitionen können auch mittelfristig Wachstumsperspektiven schaffen. Eine bessere Infrastruktur reduziert die privaten Investitionskosten – beispielsweise indem Investitionsgüter schneller transportiert und Anträge schneller bearbeitet werden. Außerdem erhöht ein höherer öffentlicher Kapitalstock die Produktivität der privaten Produktionsfaktoren Arbeit und Kapital.

In dem verwendeten Modell wird nicht berücksichtigt, ob sich Deutschland in einer Rezession oder in einem Aufschwung befindet. In der Regel sind die Effekte staatlicher Ausgaben in einer Rezession größer als in einem Aufschwung, da die Kapazitäten weniger ausgelastet sind. Dies lässt vermuten, dass die Effekte staatlicher Investitionen auf das BIP in der aktuellen Situation noch höher ausfallen könnten.

Fazit: Investitionen sind nicht nur notwendig, sondern kurbeln auch die Wirtschaft an
Investieren oder nicht investieren – diese Frage stellt sich nicht. Die Infrastruktur des Landes muss dringend verbessert werden, um den Wohlstand zu erhalten und international den Anschluss nicht zu verlieren. Dies würde nicht nur unmittelbar die Konjunktur ankurbeln, sondern auch mittelfristig positiv auf die Wertschöpfung wirken. Der Effekt dürfte sogar so groß sein, dass die höhere Wirtschaftsleistung und die damit verbundenen zusätzlichen Steuereinnahmen die Ausgaben finanzieren würden. Deswegen sollte die nächste Bundesregierung eine Erhöhung der öffentlichen Investitionen unabhängig von einer Reform der Schuldenbremse angehen.

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