Interview mit BEE-Präsidentin Dr. Simone Peter – Appell für Reformierung des Stromsystems und souveräne Energieversorgung

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Interviews, Verbände
Dr. Simone Peter ist seit 2018 Präsidentin des BEE.
Foto: Bundesverband Erneuerbare Energie e. V.

Der BEE Bundesverband Erneuerbare Energie e. V., Berlin, setzt sich seit seiner Gründung im Jahr 1991 für die gemeinsamen Interessen der Erneuerbare-Energien-Branche in Deutschland ein. In den Mitgliedsverbänden des BEE sind insgesamt über 30.000 Einzelmitglieder und Firmen zusammengeschlossen. Dr. Simone Peter, promovierte Biologin, ist seit 2018 Präsidentin des BEE, zuvor war sie als Bundesvorsitzende von Bündnis90/Die Grünen tätig. Seit 2020 ist S. Peter außerdem Mitglied im Aufsichtsrat der Naturstrom AG, Düsseldorf.

Im Interview spricht sich die BEE-Präsidentin für eine Reformierung des Stromsystems und eine souveräne Energieversorgung aus und erklärt, warum Erneuerbare preissenkend wirken, statt Kostensprünge zu verursachen.

Steigende Energiepreise machen sowohl den Verbrauchern als auch den Unternehmen aktuell zu schaffen. Mit der russischen Invasion in die Ukraine ziehen die Preise noch stärker an als ohnehin schon. Inwieweit können erneuerbare Energien die Versorgung des Industriestandorts Deutschland sichern und wie werden auf diesem Weg massive Kostensprünge vermieden?
S. Peter: Die aktuelle Energiepreiskrise wurde durch die fossilen Energieträger ausgelöst. Gas treibt die Kosten für Strom und Wärme. Der Krieg in der Ukraine hat dies noch verstärkt, denn Deutschland, aber auch andere Länder, sind in hohem Maße von Gas-Importen abhängig. Einen Großteil der Energieversorgung in Deutschland übernehmen bereits die Erneuerbaren Energien. Diese wirken preissenkend auf die Börsenstrompreise. So konnte beispielsweise der mittlere Strompreis in Zeiten, in denen Wind- und Sonnenenergie den stündlichen Strombedarf in Deutschland zu mindestens 75 % deckten, im vergangenen Jahr auf unter 0 gesenkt werden. Deckte hingegen der fossile Kraftwerkspark den stündlichen Strombedarf mit mehr als 75 %, so lag der Preis bei mehr als 120 Euro je Megawattstunde.

Den gegenwärtigen Kostensprüngen kann durch verschiedene Maßnahmen entgegengewirkt werden. Die bereits beschlossene, vorgezogene Absenkung der EEG-Umlage auf 0 Cent zum 1. Juli dieses Jahres ist eine Maßnahme, bei der beachtet werden muss, dass diese Absenkung auch bei den Endkundinnen und Endkunden ankommt. Kurzfristig kann eine weitere Reduzierung der Umlagen und Steuern den Strompreis begrenzen, zum Beispiel indem die Stromsteuer auf das EU-rechtliche Minimum gesenkt wird. Vor allem muss aber das Stromsystem reformiert werden, um die Kostenvorteile der Erneuerbaren voll auszunutzen und uns aus der Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen zu lösen. Das Stromsystem der Zukunft muss mit mehr flexibel steuerbaren Elementen wie Bioenergie, Wasserkraft, Speichern, KWK und Sektorenkopplung auf die wetterabhängigen Erneuerbaren Energien ausgerichtet werden. Der BEE hat dafür eine Studie vorgelegt, die sich neben der Versorgungssicherheit insbesondere auf die Nutzung von heimischen Potenzialen der Erneuerbaren und die Finanzierung der Systemkosten des Energiesystems konzentriert. Eine Vollversorgung aus Erneuerbaren Energien ist bei einer entsprechenden Ausgestaltung der Rahmenbedingungen auch ohne Importe und unter Beibehaltung des Kohleausstiegs im Jahr 2030 und der Vollendung des Atomausstiegs in diesem Jahr möglich.

Vergangenes Jahr hat Deutschland rund 1.664 Mrd. kWh Erdgas importiert. Rund 55 % des Gases kamen aus Russland. Jetzt wird die Forderung, Deutschland müsse sich unabhängiger von Russland und seiner Energieversorgung machen, noch lauter als bisher. Sehen Sie in dem Krieg einen Treiber für den Ausbau der erneuerbaren Energien und wie können diese kurz- bis mittelfristig zu einer entscheidenden Unabhängigkeit von russischen Energielieferungen beitragen?
S. Peter: Durch den Krieg in der Ukraine ist nochmals deutlicher geworden, wie wichtig eine souveräne Energieversorgung ist. Das macht einen noch ambitionierteren Ausbau der Erneuerbaren Energien als von der Bundesregierung geplant notwendig.

Die Planungen müssen dahingehend nun umgehend gestrafft werden. Das heißt Hemmnisse und Hürden bei der Windenergie und blockierende Regelungen im Bereich Photovoltaik in der nun vorliegenden Novelle zum Erneuerbaren-Energien-Gesetz zu beseitigen und Flächen und Genehmigungen bereitzustellen. Gleichzeitig sind die flexibel steuerbaren Quellen Bioenergie und Wasserkraft besser zu nutzen. Denn sie werden als dezentrales Backup für die wetterabhängigen Sonnen- und Windenergie gebraucht. Allein beim Biogas kann die Produktion von aktuell rund 95 Terawattstunden (TWh) auf 234 TWh erhöht werden. Wenn das gesamte technische Biogaspotenzial erschlossen und vollständig zur Methanproduktion genutzt wird, könnten Biogasanlagen sogar bis zu 450 TWh Methan liefern und somit 80 % des russischen Erdgases ersetzen.

Insbesondere der Bereich Wärme steht jetzt vor großen Herausforderungen. Deshalb ist der Gebäudesektor auf Erneuerbare Energien auszurichten und dadurch die bestehende Abhängigkeit von fossilem Gas zu beenden. Hier braucht es einen Instrumentenkasten aus regulatorischen Anreizen und flankierender Investitionsförderung, die eine schnelle und sozialverträgliche Dekarbonisierung erreichbar machen. Der BEE hat dafür kürzlich ebenfalls ein umfassendes Konzept vorgelegt. Und auch bei der Mobilität sind weitere Maßnahmen zu ergreifen – von der Ladeinfrastruktur über grüne Kraftstoffe für nicht elektrifizierbare Verkehre bis zum Umstieg auf ÖPNV und Fahrrad.

Investitionen in Gas- und Atomkraftwerke sind, unter bestimmten Auflagen, von der EU-Kommission als nachhaltig eingestuft worden. Der BEE und Sie als Vorsitzende des Verbandes machen sich in Europa für den schnellen Ausbau der Erneuerbaren stark. Ist diese Aufgabe dadurch schwieriger geworden? Und gehen Sie davon aus, dass durch die Aufnahme in die EU-Taxonomie tatsächlich ein Anreiz für den Bau neuer, noch nicht ohnehin bereits im Planungs- und Genehmigungsprozess befindlicher, Gas- oder Atomkraftwerke gesetzt wird?
S. Peter: Die Aufnahme von Gas- und Atomkraftwerken als nachhaltige Investitionen in die EU-Taxonomie ist ein falsches Signal an Investoren, denn Erneuerbare Energien sind längst marktreif, sicher und sauber. Die von Russland angegriffenen Atomreaktoren in der Ukraine verdeutlichen nochmals zudem dramatisch, dass diese Technologie die nationale wie internationale Sicherheit gefährden. Gleichzeitig verursachen sie durch die ungelöste Endlager-Frage hohe Folgekosten. Erdgas ist nicht unerheblich für Treibhausgasemissionen verantwortlich und ebenfalls nicht nachhaltig. Beide Technologien passen in ihrer Großkraftwerksstruktur auch nicht zu den dezentralen, bürgernahen Erneuerbaren. Mit der angekündigten Ausbauoffensive der Bundesregierung für die Erneuerbaren Energien scheint aber bewusst geworden zu sein, wie dringlich das Vorankommen bei der Energiewende in solchen Zeiten ist. Deshalb setzen wir darauf, dass das Europäische Parlament ein klares Nein zu den Taxonomie-Vorschlägen der EU-Kommission formuliert.

Erneuerbare Energien haben einen großen Anteil an Lösungen im Kampf gegen den Klimawandel. Doch viele Debatten rund um das Thema Klimaschutz werden sehr emotional geführt. So zum Beispiel auch der Windkraftausbau. Auf Twitter erklärten Sie jüngst, viele Nutzer wegen Beleidigung und Hetze zu blockieren. Weshalb sind solche Thematiken mit so viel Wut verbunden?
S. Peter: Viele Menschen nutzen die Sozialen Medien, um ihre radikalen Ansichten zu äußern. Hier steht auch die Klimaschutzpolitik immer wieder im Feuer von Klimawandelleugnern. Sie greifen auch die Erneuerbaren Energien massiv an. Hier diskutiere ich nicht mehr, denn es hat mit Fakten wenig zu tun. Bei Beleidigungen ist dann die Grenze ohnehin überschritten. Ich setze darauf, dass wir mit breiter Kommunikation, Beteiligung der Kommunen und der Bürgerinnen und Bürger sowie viel regionaler Wertschöpfung und dauerhaft bezahlbaren Energiepreise überzeugen können, dass die Energiewende allen zugutekommt.

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